Der Dodo war nur einer von vielen: Der Mensch hat im Laufe seiner Geschichte mehr Vogelarten ausgerottet als lange angenommen, wie eine Studie enthüllt. Demnach sind mehr als 1400 Vogelarten in den letzten 130.000 Jahren durch unseren Einfluss ausgestorben – mindestens. Dies ist das größte, vom Menschen verursachte Wirbeltiersterben der Geschichte, wie die Forschenden berichten. Fast überall zog die Ankunft des Menschen in neue Gebiete das Verschwinden von Vogelarten nach sich – und das Vogelsterben geht weiter.
Ob durch die Jagd, den Diebstahl von Eiern oder die Zerstörung von Lebensräumen: Seit Beginn der Menschheitsgeschichte greift der Mensch in die Natur ein und wird damit für viele Tiere zur akuten Bedrohung. Schon unsere steinzeitlichen Vorfahren könnten eine entscheidende Rolle für das Aussterben vieler großer Pflanzenfresser in Nordamerika, aber auch Australien gespielt haben. Und auch viele Vögel sind mit Ankunft des Menschen in neuen Gebieten oder auf Inseln für immer verschwunden.
Blick zurück in die Vergangenheit
„Bisher wussten wir aus Beobachtungen und Fossilien, dass durch den Menschen 640 Vogelarten ausgestorben sind – 90 Prozent davon auf Inseln“, sagt Co-Autor Manuel Steinbauer von der Universität Bayreuth. Das Spektrum reicht vom ikonischen Dodo auf Mauritius über den großen Auk im Nordatlantik bis hin zum weniger bekannten St. Helena-Riesenhopf. Das Problem jedoch: Während das Aussterben vieler Vögel seit dem Jahr 1500 halbwegs gut dokumentiert ist, beruht unser Wissen über das Schicksal weiter zurückliegender Ausrottungen fast ausschließlich auf Fossilien. Doch solche Versteinerungen sind kaum verfügbar, da sich leichte Vogelknochen mit der Zeit zersetzen. Dadurch ist das wahre Ausmaß des weltweiten, durch den Menschen bedingte Aussterben nur schlecht erkennbar.
Um mehr Aufschluss über Ausrottungen von Vogelarten durch den Menschen zu erhalten, haben Steinbauer, Erstautor Rob Cooke von der Universität Göteborg und ihre Kollegen statistische Modelle entwickelt, um bekannten Daten in die Vergangenheit zu extrapolieren. Das Studienteam stützte sich bei den Modellen auf Informationen zu bekannten Aussterbefällen und den Umfang der Forschungsarbeiten in speziellen Regionen. Letzteres hat Einfluss auf die Zahl der bisher entdeckten Fossilien ausgestorbener Vogelarten und damit auch auf die Vollständigkeit der Daten. Durch die Analysen gelang es den Forschenden, die „wahre“ Anzahl der Vogelarten abzuschätzen, welche seit dem Spätpleistozän vor etwa 130.000 Jahren durch den Menschen ausgerottet wurden.
Spur der Ausrottung schon seit der Steinzeit
Das Ergebnis: Cooke und seine Kollegen ermittelten, dass seit dem späten Pleistozän rund 1.430 Vogelarten durch den Einfluss des Menschen ausgestorben sind – das entspricht etwa elf Prozent aller Vogelarten und ist damit das größte, vom Menschen verursachte Wirbeltiersterben der Geschichte. „Aufgrund der Modellergebnisse schätzen wir jedoch, dass die tatsächliche Zahl etwas mehr als doppelt so hoch ist“, erklärt Steinbauer. Ein Großteil der schon in prähistorischer Zeit ausgerotteten Vogelarten sind heute nicht einmal mehr bekannt. “Unsere Studie zeigt, dass der Einfluss des Menschen auf die Vogelvielfalt weitaus größer war als bisher angenommen”, sagt Cooke. “Viele Arten sind schon vor der schriftlichen Aufzeichnung ausgestorben und haben keine Spuren hinterlassen – sie sind aus der Naturgeschichte getilgt.“
Die Ursachen für die Ausrottung der Vogelarten sind vielfältig: “Der Mensch hat die Vogelpopulationen durch die Zerstörung von Lebensräumen, Raubbau und die Einführung von Ratten, Schweinen und Hunden, die die Nester der Vögel überfielen und mit ihnen um Nahrung konkurrierten, rasch zerstört”, berichtet Cooke. Größere Aussterbewellen gab es vor allem dann, als unsere Vorfahren neue Gebiete oder Inseln besiedelten, wie beispielsweise bei Ankunft des Menschen auf den pazifischen und atlantischen Inseln vor rund 3000 Jahren. Aber auch das Aufkommen der Seefahrt und des globalen Seehandels ab dem 14. Jahrhundert trugen erheblich zur Ausrottung vieler Vögel bei.
Und das Vogelsterben dauert an: Vor allem seit dem 18. Jahrhundert sind Vögel neben der zunehmenden Abholzung und der Ausbreitung invasiver Arten auch den vom Menschen verursachten Bedrohungen durch Klimawandel, intensive Landwirtschaft und Umweltverschmutzung ausgesetzt. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) schätzt, dass in den nächsten hundert Jahren bis zu 700 weitere Vogelarten aussterben könnten. “Vor dem Hintergrund des aktuellen Artensterbens ist es für uns jetzt wichtig zu verstehen, wie sich der Verlust einer Art und der damit verbundene Verlust einer ökologischen Funktion auf die Wechselwirkung in ökologischen Systemen auswirkt”, sagt Steinbauer. “Ein Aussterben hat immer auch Auswirkungen auf das ganze Ökosysteme.”
Quelle: Universität Bayreuth; Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-43445-2