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Mehr als Luftqualität erfasst

Umwelt-DNA

Mehr als Luftqualität erfasst
Luft-Messstationen – wie diese in Schottland – könnten nebenbei wichtige Informationen zur Biodiversität liefern. © National Physical Laboratory / Local Site Operator

Bisher übersehenes Potenzial für die Erforschung der Biodiversität: Die weltweiten Messstationen zur Überwachung der Luftqualität erfassen neben Schadstoffen offenbar auch genetische Spuren der Lebewesen ihrer Region. In einer Pilotstudie konnten Forscher durch Analysen der in den Filtersystemen gefangenen Umwelt-DNA zahlreiche Tier- und Pflanzenarten nachweisen. Demnach ließe sich das bereits breit etablierte Überwachungsnetzwerk nutzen, um wichtige Informationen zur weltweiten Biodiversitäts-Krise zu gewinnen, sagen die Wissenschaftler.

Welche Lebewesen kommen in einem Ökosystem vor? Lange konnten Forscher dieser Frage nur durch aufwendige Begehungen, Beobachtungen und traditionelle Formen der Spurensuche nachgehen. Doch seit einigen Jahren hat ein neues Verfahren in die Biodiversitäts-Forschung Einzug gehalten: In Proben der Umwelt lassen sich Erbgutspuren nachweisen, die sich bestimmten Ursprungsorganismen zuordnen lassen. Diese sogenannte Umwelt-DNA stammt aus winzigen Hautpartikeln oder Ausscheidungen, die an Objekten haften bleiben oder in bestimmte Substanzen gelangen.

Wie sich gezeigt hat, lassen sich Wasser-Organismen anhand der genetischen Spuren besonders effektiv nachweisen und auch Untersuchungen verschiedener Feststoffe wie Bodenmaterial können sich lohnen. Im vergangenen Jahr konnten Forscher zudem bereits aufzeigen, dass Umwelt-DNA auch in der Luft unterwegs ist: Durch spezielle Geräte, die Luft durch Filter bliesen, konnten sie viele Tierarten eines Zoos anhand der schwebenden Erbgutspuren nachweisen. Die Wissenschaftler, zu denen unter anderem Elizabeth Clare von der York University und Joanne Littlefair von der Queen Mary University of London gehörten, attestierten dem Verfahren deshalb erhebliches Potenzial für die Biodiversitäts-Forschung. Das Verfahren schien allerdings mit einigem technischen Aufwand verbunden zu sein.

Sind Luftqualität und Biodiversität gemeinsam erfassbar?

Doch nun zeichnet sich ab, dass in vielen Teilen der Welt bereits eine effektive Infrastruktur für die Untersuchung der Artenvielfalt anhand von Luft-Umwelt-DNA vorhanden ist. Zu der Entdeckung führten dabei die Veröffentlichungen von 2022. Durch sie wurden Wissenschaftler des britischen National Physical Laboratory (NPL) in Teddington, die die nationalen Luftqualitätsmessnetze betreiben, auf das mögliche Zusatz-Potenzial ihrer Stationen aufmerksam. “Wir sammeln routinemäßig Luftschadstoffe – als wir dann die Studienergebnisse sahen, wurde uns klar, dass wir vielleicht auf weiteren wertvollen Daten sitzen”, sagt James Allerton vom NPL. So kontaktierten er und seine Kollegen die Umwelt-DNA-Forscher und es entwickelte sich eine Kooperation.

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Für die aktuelle Studie lotete das Team um Littlefair und Clare nun gezielt aus, inwieweit auch verwertbare Erbgut-Spuren aus der Luft neben Feinstaub und anderen atmosphärischen Schadstoffen in den Filtern der weitverbreiteten Luftqualitätsüberwachungsnetze landen. Die entsprechenden Untersuchungen führten die Wissenschaftler am Beispiel von zwei Messtationen in England und Schottland durch. Dazu wurde genetisches Material aus den Filtern extrahiert, vervielfältigt und analysiert. Anschließend konnten die Sequenzen mit Informationen aus genetischen Datenbanken verglichen werden, um sie Lebewesen zuordnen zu können.

Enormes Potenzial aufgezeigt

Wie das Team berichtet, ergab die Pilotstudie: Anhand der Umwelt-DNA aus den Filtern ließen sich mehr als 180 Vertreter von Pflanzen, Pilzen, Insekten, Säugetieren, Vögeln, Amphibien und weiteren Gruppen von Lebewesen nachweisen. Darunter waren auch seltene oder bedrohte Arten, die im Umfeld der beiden Test-Stationen vorkommen. “Wir waren überrascht von der Vielfalt des Lebens, die wir mit einem einzigen Ansatz erfassen konnten”, sagt Seniorautorin Clare. Es zeichnet sich ab, dass Luftqualitäts-Überwachungsnetze seit vielen Jahren unbemerkt lokale Biodiversitätsdaten erfassen, resümieren die Forscher. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass Proben oft über Jahrzehnte hinweg aufbewahrt werden, sodass möglicherweise nun auch rückblickende Untersuchungen zur Entwicklung der Biodiversität möglich werden.

“Das Potenzial kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden”, meint Erst-Autorin Littlefair. “Es könnte sich um einen Wendepunkt bei der Erfassung und Überwachung der Artenvielfalt handeln. Denn fast jedes Land der Welt verfügt über ein System oder ein Netzwerk zur Untersuchung der Luftqualität – entweder staatlich oder privat, und in vielen Fällen beides. Dies könnte das globale Problem lösen, wie man die biologische Vielfalt in großem Maßstab mit geringem Aufwand erfassen kann“, sagt die Wissenschaftlerin. Sie und ihre Kollegen wollen sich nun für die internationale Umsetzung dieses Ansatzes einsetzten: “Es sind zwar auch Anstrengungen erforderlich, um diese Proben zu sammeln und auszuwerten, aber es ist eine außergewöhnliche Gelegenheit, eine bereits bestehende, globale Informationsquelle zu nutzen“, so Littlefair.

Quelle: Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2023.04.036

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