Beim Meeresspiegelanstieg spielt nicht nur das Wie des Klimaschutzes eine Rolle, sondern auch das Wann: Verzögert sich der Scheitel der Treibhausgasemissionen um fünf Jahre, kann dies bereits 20 Zentimeter höhere Pegel bedeuten, wie Forscher herausgefunden haben. Dies gilt selbst dann, wenn die globale Erwärmung insgesamt auf zwei Grad oder sogar darunter begrenzt wird. Um die Risiken des Meeresspiegelanstiegs zu begrenzen ist es daher entscheidend, den CO2-Ausstoß so schnell und stark wie möglich zu bremsen, so die Wissenschaftler.
Der Meeresspiegel steigt – so viel ist klar. Allein im letzten Jahrhundert sind die Pegel weltweit um durchschnittlich 14 Zentimeter angestiegen. Treiber dieses Prozesses ist zum einen die Erwärmung der Ozeane und die damit verbundene Ausdehnung des Meerwassers. Dazu kommt der Einstrom von Schmelzwasser von den tauenden Gletschern, Eiskappen und Eisschilden Grönlands und der Antarktis. Weil die Meere mit Verzögerung auf Erwärmung und Eisschmelze reagieren, stellt der heutige Klimawandel bereits die Weichen für die Pegel der Zukunft – einige Faktoren wirken in Zeitskalen von Jahrzehnten, andere in Jahrtausenden.
Welche Rolle spielt der Zeitplan?
Um den Meeresspiegelanstieg zu begrenzen und so die schlimmsten Folgen abzuwenden, haben sich die Staaten bei der Klimakonferenz von Paris darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Dafür sollen, so die Vereinbarung, die globalen CO2-Emissionen zwischen 2050 und 2100 ein Gleichgewicht erreichen: Sie sollen so stark heruntergefahren sein, dass nicht mehr Treibhausgas freigesetzt wird als die Stoffkreisläufe und Senken der Erde aufnehmen können. Das bedeutet, dass der Scheitelpunkt der Emissionen deutlich vorher überschritten sein muss.
Welche Rolle der Zeitplan des Klimaschutzes für den Meeresspiegelanstieg spielt, haben nun Matthias Mengel vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und seine Kollegen untersucht. Für ihre Studie nutzten sie ein kombiniertes Klima-Meeresspiegel-Modell, um die Reaktion der Pegel bis 2300 auf unterschiedliche CO2-Reduktionsquoten und Emissionswendejahre zu testen. “Der menschgemachte Klimawandel hat bereits jetzt einen gewissen Anstieg des Meeresspiegels für die kommenden Jahrhunderte vorprogrammiert, aber das bedeutet nicht, dass unser heutiges Handeln keinen großen Unterschied macht”, erklärt Mengel.
Fünf Jahre später – 20 Zentimeter höher
Die Modellsimulationen ergaben: Schon die Treibhausgas-Emissionen vor 2050 sind eine wichtige Stellschraube für den künftigen Meeresspiegel. Jede Verzögerung des Klimaschutzes in diesem Zeitraum könnte eine deutliche Erhöhung des Meeresspiegels auf lange Sicht nach sich ziehen. “Beim Höchststand der CO2-Emissionen kann jede Verzögerung um fünf Jahre zwischen 2020 und 2035 einen zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels von 20 Zentimetern bedeuten – das entspricht dem Meeresspiegelanstieg, den wir seit Beginn der vorindustriellen Ära insgesamt erlebt haben”, sagt Mengel.
Eine Schlüsselrolle für den Meeresspiegelanstieg wird dabei die Antarktis spielen, wie die Forscher erklären. “Tatsächlich wird die Unsicherheit des künftigen Meeresspiegelanstiegs derzeit von der Reaktion der Antarktis dominiert. Nach unserem heutigen Kenntnisstand zur Instabilität der Eisschilde könnten große Eismasseverluste der Antarktis selbst bei einer mäßigen Erwärmung möglich sein, die im Einklang mit dem Pariser Abkommen wäre”, sagt Mengel. “Selbst ein Meeresspiegelanstieg von bis zu drei Metern bis 2300 kann nicht völlig ausgeschlossen werden, da wir noch nicht mit Sicherheit sagen können, wie das antarktische Eisschild auf die globale Erwärmung reagieren wird.”
“Unsere Ergebnisse zeigen, dass es quantifizierbare Folgen gibt, wenn die entsprechenden Maßnahmen verzögert werden”, ergänzt Co-Autor Carl-Friedrich Schleussner vom PIK. “Deshalb sind sogar innerhalb der Ziele des Pariser Abkommens schnelle Klimaschutzmaßnahmen von maßgeblicher Bedeutung, um zusätzliche Risiken zu begrenzen. Für Millionen von Menschen in Küstengebieten auf der ganzen Welt kann jeder Zentimeter den Unterschied machen – zur Begrenzung des Meeresspiegelanstiegs ist daher die unmittelbare Senkung der CO2-Emissionen entscheidend.”
Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Fachartikel Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-018-02985-8