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Meeresmüll macht die Hochsee zur Küste

Umwelt

Meeresmüll macht die Hochsee zur Küste
Dieser schwimmende Abfall bietet Küsten-Arten von Weichtier und Co einen Lebensraum auf dem offenen Meer. © The Ocean Cleanup

Neue Lebensräume der problematischen Art: Auf schwimmendem Plastikmüll im offenen Ozean können viele wirbellose Meerestiere leben und sich vermehren, die normalerweise nur in Küstenregionen vorkommen. Dies dokumentiert eine Untersuchung im östlichen Nordpazifik. Dort beherbergt der Plastikmüll auf hoher See demnach sogar dreimal mehr Küsten-Arten als Spezies, die natürlicherweise Treibgut besiedeln. Es zeichnet sich ab, dass die Fremdstoffe bisherige biogeografische Grenzen zwischen den Meeresökosystemen in problematischer Weise aufbrechen, sagen die Forscher.

Überall dümpelt mittlerweile der Müll: Die hässliche Signatur der Zivilisation prägt zunehmend auch die Meere, denn jedes Jahr gelangen gigantische Abfallmengen in die Gewässer. Vor allem der Plastikmüll bedroht dort auf komplexe Weise die Ökosysteme, belegen Studien. Denn die Kunststoffmaterialien zerbrechen höchstens, werden aber nicht abgebaut, wodurch sie sich in der Natur anreichern. Der Meeresmüll bildet dabei auch besonders markante „Schandflecken“: Durch die Strömungssysteme der Ozeane sammelt sich das schwimmende Material teilweise in riesigen Müllstrudeln an.

Es ist bereits bekannt, dass Plastikmüll auch eine Rolle als Lebensraum für problematische Mikroorganismen und andere Lebewesen spielen kann. Der genaueren Erforschung dieses Aspekts haben sich nun die Wissenschaftler um Linsey Haram vom Smithsonian Environmental Research Center in Edgewater gewidmet. Für ihre Studie haben sie Plastik-Objekte untersucht, die aus dem Bereich des Strömungswirbels im östlichen Nordpazifik stammen. Die dortige Ansammlung von menschlichem Abfall wird auch als „Großer Pazifischer Müllteppich“ bezeichnet. Im Rahmen der Studie erfassten die Meeresbiologen die auf den Stücken gefundenen Arten von wirbellosen Tieren sowie Hinweise auf ihre Entwicklung und Vermehrung.

Viele fremdartige Bewohner

Die Auswertungen ergaben: Auf über 70 Prozent des untersuchten Plastikmülls waren Arten zu finden, die normalerweise Lebensräume im Bereich der Küsten besiedeln. Es handelt sich bei den insgesamt 37 Spezies um Vertreter der Weich-, Glieder- und Nesseltiere aus verschiedenen taxonomischen Gruppen. Der Müll beherbergte sogar dreimal mehr dieser Küsten-Arten als angestammte Lebewesen des offenen Ozeans, die seit jeher das natürliche Treibgut besiedeln. Im Detail stellten die Forscher die größte Vielfalt an Küsten-Arten bei Kunststoff-Objekten fest, die aus der Fischerei stammen.

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Außerdem fanden die Forscher Hinweise darauf, dass die gebietsfremden Organismen nicht nur auf dem Müll unterwegs sind, sondern sich dort auch vermehren und ausbreiten. Wie die Wissenschaftler erklären, ist der Effekt wohl auf die Merkmale des unnatürlichen Treibguts zurückzuführen, die eher denen von Küstenstrukturen ähneln: Plastik-Objekte bieten eine beständigere Oberfläche als natürliche Objekte aus Holz oder anderen biologischen Materialien, die vergleichsweise schnell abgebaut werden. “Wir waren auch überrascht, wie leicht küstennahe Arten offenbar neue schwimmende Gegenstände, einschließlich unserer eigenen Instrumente, besiedelten konnten – eine Beobachtung, die wir weiter untersuchen werden“, sagt Haram.

Biogeografische Grenzen werden durchlässig

Doch bereits jetzt zeichnet sich ein Prozess mit erheblicher Bedeutung ab, resümieren die Forscher: “Unsere Ergebnisse belegen, dass küstennahe Organismen dank des Mülls in der Lage sind, sich zu vermehren, zu wachsen und im offenen Ozean zu überleben. Sie bilden dadurch eine neuartige Gemeinschaft, die es vorher nicht gab”, sagt Seniorautor Gregory Ruiz vom Smithsonian Environmental Research Center. “Dies ist ein Paradigmenwechsel in Bezug darauf, was wir als Hindernis für die Ausbreitung von wirbellosen Küstenbewohnern betrachtet haben.” Dazu ergänzt Haram: “Es zeichnet sich ab, dass sich die seit Millionen von Jahren bestehenden biogeografischen Grenzen zwischen den Meeresökosystemen durch den schwimmenden Müll rasch verändern”.

Den Forschern zufolge verdeutlichen ihre Ergebnisse auch konkrete Bedrohungen: “Die Hawaii-Inseln grenzen im Nordosten an den Nordpazifischen Müllteppich”, sagt Co-Autor Nikolai Maximenko von der University of Hawaii at Manoa in Honolulu. “Teile, die von dort stammen, machen den Großteil des Mülls aus, der an den hawaiianischen Stränden und Riffen ankommt. In der Vergangenheit waren die empfindlichen Meeresökosysteme der Inseln durch die große Entfernung zu den Küsten Asiens und Nordamerikas geschützt. Die neuen Ergebnisse verdeutlichen nun, dass die Inseln einem erhöhten Risiko der Kolonisierung durch invasive Arten ausgesetzt sind”, so Maximenko.

Quelle: University of Hawaii at Manoa, Fachartikel: Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-023-01997-y

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