Korallen stehen ohnehin vor zahlreichen Problemen, doch nun haben Forschende ein weiteres identifiziert: Wahrscheinlich kann das jährliche Wachstum der Riffe nicht mit dem Anstieg des Meeresspiegels mithalten. Das bedeutet, dass sie mit der Zeit immer tiefer unter der Wasseroberfläche liegen werden, wo sie weniger Sonnenlicht abbekommen und womöglich absterben. Ganze Inselstaaten, die auf Korallenriffen errichtet sind oder durch sie geschützt werden, sacken somit ebenfalls tiefer ab und geraten zunehmend in Not.
Tropische Korallenriffe sind Hotspots der marinen Vielfalt, doch der Klimawandel stellt sie vor zahlreiche Herausforderungen. Unter anderem setzen ihnen steigende Temperaturen, versauertes und überdüngtes Wasser sowie Krankheiten zu. Schon heute bleichen Korallenriffe daher in der ganzen Welt zunehmend aus, werden von Algen und unkrautartig wachsenden Korallenarten überwuchert oder von gefräßigen Seesternen dezimiert.
Bohrung in die Vergangenheit
Als wären diese Zukunftsaussichten nicht schon düster genug, haben Forschende um Eberhard Gischler von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main nun eine weitere Bedrohung für die Korallenriffe identifiziert. Um herauszufinden, ob der aktuelle Rückgang der Korallen tatsächlich beispiellos in der Geschichte ist, haben sie 22 Bohrkerne aus Belize analysiert. Dort liegt das größte Riffsystem des Atlantiks.
Die acht bis zwanzig Meter langen Bohrkerne geben Aufschluss darüber, wie es den dortigen Atollen und Barriereriffen in den vergangenen 9000 Jahren – auch Holozän genannt – ergangen ist. Indem Gischler und sein Team das Alter und die Arten der fossilen Korallen in den Bohrkernen identifizierten, konnten sie ermitteln, welche Korallengemeinschaften zu welcher Zeit vor Belize lebten. Die Messung der räumlichen Abstände zwischen diesen Korallen gab außerdem Aufschluss darüber, wann sie wie stark gewachsen sind.
Korallen sinken in die Tiefe
Das Ergebnis: „Unsere Daten zeigen insgesamt einen Rückgang der Korallenwachstumsraten in Belize während des Holozäns“, berichtet Gischler. Im Schnitt seien die dortigen Riffe in den vergangenen Jahrtausenden 3,36 Millimeter pro Jahr gewachsen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Klimawandels ist das jedoch zu wenig, wie die Forschenden erklären. Denn der Weltklimarat IPCC sagt voraus, dass der Meeresspiegel in den kommenden Jahrzehnten um biszu 9,8 Millimeter pro Jahr ansteigen wird. Schon jetzt steigen die Pegel im globalen Schnitt um rund 3,7 Millimeter pro Jahr, 2019 wurden jedoch an manchen Küsten bereits Rekordwerte von 6,1 Millimetern jährlich erreicht. Selbst bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad prognostiziert der IPCC bis 2100 einen Meeresspiegelanstieg von insgesamt 30 bis 60 Zentimetern.
Somit könnte es durchaus vorkommen, dass der Meeresspiegel schneller ansteigt als die Korallen wachsen können, wodurch sie immer tiefer unter der Wasseroberfläche zurückblieben. Da tropische Korallen Sonnenlicht zum Leben benötigen, würde das ihnen den endgültigen Todesstoß versetzen. Doch nicht nur die Korallenriffe selbst, sondern auch die Menschen, die von ihnen abhängig sind, würden unter dieser Entwicklung leiden. Mindestens ein Prozent der Menschheit lebt aktuell auf niedrig gelegenen Riffinseln oder wird von ihnen geschützt. Ihre Heimat würde somit zusammen mit den Korallen untergehen. Nur wenn der Meeresspiegelanstieg durch effektiven Klimaschutz in naher Zukunft auf weniger als rund drei Millimeter pro Jahr zurückgehen sollte, hätten Mensch und Koralle demnach noch eine Chance.
Interessanterweise standen die Riffe vor Belize auch schon in der Vergangenheit vor großen Herausforderungen, wie Gischler und seine Kollegen herausgefunden haben. Demnach gab es auch schon vor 2000, 4000 und 5500 Jahren längere Zeitfenster, in denen die Elchhornkoralle (Acropora palmata) – die sonst häufigste Korallenart des Holozäns –vor Belize komplett verschwunden war. Die Forschenden gehen davon aus, dass sie einst höheren Temperaturen, heftigen Stürmen oder Nährstoffmangel zum Opfer gefallen sein könnte. Damals konnten sich die Bestände stets wieder erholen, doch ob ihnen das auch in Zukunft gelingt, bleibt offen.
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main; Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-023-38118-5