Seit Hunderten von Jahren leben indigene Völker wie die Daasanach, Kara, Kwegu, Mursi und Nyangatom, welche zusammen etwa 200.000 Angehörige zählen, im Unteren Omo-Tal. Die indigenen Völker haben ein komplexes System aus ökologischen Praktiken entwickelt, um in der schwierigen Umgebung des Tals zu überleben. Aufgrund der geringen Niederschlagsmengen sind sie auf die alljährliche Überflutung des Gebietes durch den Omo angewiesen. Einige der Völker betreiben sogenannten Schwemmlandbau, bei dem auf dem aufgeschwemmtem und fruchtbarem Schlick angebaut wird. Einige Völker, insbesondere die Kwegu, jagen und fischen, um ihre Familien zu ernähren.
Doch über der Zukunft der Omo-Völker ist eine düstere Wolke aufgezogen: Ein gigantischer Staudamm soll am Omo entstehen. Obwohl die äthiopische Regierung behauptet, dass der Gibe III Damm nur „unwesentliche“ oder sogar „positive“ Auswirkungen auf die Umwelt und die indigenen Völker habe, mehren sich die Stimmen, die auf eine drohende Katastrophe im Omo-Tal hinweisen. Drei neue, unabhängige Berichte schätzen, dass eine halbe Million Angehöriger indigener Völker in Äthiopien und Kenia unter den verheerenden Folgen des Gibe III-Staudamms und des damit verbundenen Landraubs leiden werden.
Die Africa Resources Working Group warnt, dass der Staudamm die Wassermenge des Omo-Flusses um 60 bis 70 Prozent verringern würde. Falls die natürliche Überflutung, mit dem Reichtum an Schlick den sie bringt, ausbleibt, werden die Folgen gravierend sein. Die indigenen Völker des Omo-Tals werden ihre, auf den Eigenbedarf ausgerichtete, Wirtschaft nicht mehr halten können. Der Bericht prognostiziert zudem “erhebliche inter-ethnische Konflikte” um knappe und schwindende Ressourcen.
Äthiopiens Regierung hat ebenfalls begonnen, das Land der indigenen Völker an staatliche und private Unternehmen zu verpachten – Unternehmen aus Malaysia, Italien, Indien und Korea wollen dort unter anderem Palmöl, Baumwolle und Mais anbauen. Auch die Regierung selbst will im Rahmen des staatlichen Kuraz-Zuckerprojektes mehr als 245.000 Hektar – eine Fläche fast so groß wie das Saarland – für Zuckerrohrplantagen nutzen.
Prognose: Der Wasserspiegel des weltgrößten Wüstensees fällt um 22 Meter
Das Africa Studies Centre der Universität Oxford prognostiziert, dass allein das Kuraz-Zuckerprojekt den Wasserspiegel des Turkana-Sees, des weltweit größten Wüstensees, um 22 Meter senken würde. Ein Großteil des Lebens im See würde zerstört, darunter auch Fischbestände, die das Überleben der Turkana und anderer Gruppen am See ermöglichen. Angehörige der Bodi, Kwegu und Mursi werden für das Kuraz-Projekt gewaltsam vertrieben und in Lager zwangsumgesiedelt.
Als Ackerbauern und Viehzüchter zählen die Völker im Unteren Omo-Tal zu den selbstständigsten und autarksten Gruppen in Äthiopien. Sie zur Umsiedlung in Lager zu zwingen, bedeutet, sie ihres Viehs und des Getreides, das sie am Fluss anbauen, zu berauben. Es zwingt sie in die vollständige Abhängigkeit der Regierung. Ähnliche Vertreibungen in anderen Regionen Äthiopiens haben ganze Gemeinden in Armut gestürzt und Spannungen im Wettbewerb um begrenzte Ressourcen erhöht.
“Die Vernichtung der Lebensgrundlagen am Unteren Omo und der für die Enteignung notwendige Einsatz von Zwang wird das Leben geschätzter 200.000 bis 300.000 [indigener] Völker gravierend stören”, warnt auch meine Organisation International Rivers und fordert, dass keine weiteren Gelder für den Staudamm bereitgestellt werden.
Untersuchungen von Nicht-Regierungsorganisationen zeigen, dass die Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern im Omo-Tal zunehmend eskalieren. Getreidevorräte von Gemeinden und wertvolle Weideflächen für ihr Vieh wurden bereits zerstört. Dutzende Menschen wurden geschlagen, festgenommen und inhaftiert, weil sie sich gegen die Vertreibung wehrten. Militäreinheiten patrouillieren die Plantagen und unterdrücken jeglichen Dissens und Protest. Es gibt zahlreiche Berichte von Vergewaltigungen und sogar Mord an Indigenen durch das Militär, das in der Region die Bau- und Plantagenarbeiter schützen soll.
Neben den USA und Großbritannien gehört Deutschland zu den drei größten bilateralen Geldgebern Äthiopiens. Obwohl die zuständigen Behörden dieser drei Staaten zahlreiche Berichte über die oben genannten Menschenrechtsverletzungen erhalten haben, wurde bisher nichts unternommen. Im März schrieb Survival International einen Offenen Brief an Bundespräsident Gauck, um ihn anlässlich seines dreitägigen Staatsbesuchs in Äthiopien, auf die drohende Krise aufmerksam zu machen. Bis heute hat er sich nicht dazu geäußert.
Survival International fordert die äthiopische Regierung auf, die Zwangsumsiedlungen und die Arbeiten an Gibe III zu stoppen. In Einklang mit internationalem Recht und der äthiopischen Verfassung, sollten die Projekt nur voranschreiten, wenn die indigenen Völker ihre freie, informierte und vorherige Zustimmung erteilt haben.
Werden Sie für indigenen Völker im Omo-Tal aktiv, schreiben Sie einen Brief an die äthiopische Regierung – zur Vorlage auf der Seite von Survival International.
Links zu den drei Berichten (in Englisch) finden sie auf folgender Seite von Survival International.
Zur Autorin
Sarah Gilbertz hat in Trier Medienwissenschaft und Germanistik studiert. Nach einem Aufenthalt als Volontärin in Indien hat sie Survival International zunächst als Freiwillige unterstützt. “Indigene Völker haben weltweit unter so vielen Vorurteilen und Missverständnissen zu leiden, so dass ich es wichtig finde, Aufklärungsarbeit zu leisten und den Forderungen der Indigenen Gehör zu verschaffen.” Bei Survival arbeitet sie heute in London als Press Assistant und koordiniert die europäischen Büros.
Foto oben: Zwei Jungen vom Volk der Karo am Omo – Copyright: Survival International.
Foto links: privat