Blutsauger, die kleine Wunden in die Haut ritzen: Die medizinisch relevanten Arten der Kriebelmücken in Deutschland könnten vom Klima- und Landnutzungswandel profitieren, berichten Forschende. Sie haben erstmals Verbreitungsmuster und ökologische Ansprüche verschiedener einheimischer Spezies dieser Insektengruppe analysiert und daraus ihre Entwicklungspotenziale abgeleitet. Demnach könnten vor allem die problematischen Vertreter der Kriebelmücken vermehrt in unserem Land auftreten und möglicherweise Krankheiten übertragen, sagen die Wissenschaftler.
Meist stehen die Stechmücken oder Bremsen im Fokus – doch neben diesen Plagegeistern gibt es in Deutschland noch eine bisher weniger bekannte Gruppe von blutsaugenden Fluginsekten. Die Kriebelmücken (Simuliidae) sind mit insgesamt 57 verschiedenen Arten sogar sehr vielfältig bei uns vertreten. Viele sind dabei allerdings nur auf den Befall bestimmter Vogel- und Säugetierarten spezialisiert. Doch einige Spezies sind flexibel – sie können verschiedene Nutztiere und auch den Menschen befallen. Oft bleiben sie dabei unbemerkt, denn sie ähneln auf den ersten Blick harmlosen Stubenfliegen. Kriebelmücken sind allerdings scharf ausgerüstet: Weibchen erzeugen mit speziellen Mundwerkzeugen kleine Wunden in der Haut ihrer Opfer und nehmen dann den sich dort bildenden Blutstropfen auf.
Potenziell gefährliche „Poolsauger“
Bei diesem als „Poolsaugen“ bezeichnen Konzept können Kriebelmücken bei Tier und Mensch spezielle Probleme hervorrufen: „In die Wunde eingetragene gerinnungshemmenden und betäubenden Substanzen können schwerwiegende allergische Reaktionen auslösen oder es kann zu bakteriellen Sekundärinfektionen kommen. Kriebelmücken sind zudem vektorkompetent, also in der Lage, durch ihren Stich bestimmte Infektionskrankheiten auslösende Erreger zu übertragen“, sagt Senior-Autor Sven Klimpel von der Goethe-Universität Frankfurt. Besonders berüchtigt sind tropische Kriebelmücken-Arten dabei für die Verbreitung des Erregers der sogenannten Flussblindheit (Onchozerkose) in Afrika und Südamerika.
Die bei uns heimischen Kriebelmücken können diese Krankheit zwar nicht übertragen, doch die mögliche Bedeutung der verschiedenen Arten als Krankheitsüberträger ist bisher noch wenig erforscht. Klimpel und sein Team haben sich nun zunächst der genaueren Untersuchung der Verbreitungsmuster und der ökologischen Ansprüche von einigen der in Deutschland verbreiteten Kriebelmücken-Arten gewidmet. Die Grundlage ihrer Studie bildeten 1526 Datensätzen mit Informationen zu zwölf der häufigsten Spezies in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. Ein zentraler Aspekt waren dabei die Ansprüche an Merkmale der Brutgewässer. Denn Kriebelmücken legen ihre Eier in Flüsse und Bäche ab. Dort entwickeln sich dann die Larven, aus denen später die geflügelten Insekten hervorgehen.
Die Auswertungen der Daten führte zu einer Einteilung der Kriebelmücken in drei biogeografische Gruppen: an die Oberläufe von Flüssen angepasste Arten, über verschiedene Landschaften weit verbreitete Spezies sowie Tieflandarten. Neben ihrer Verbreitung weisen diese Kriebelmücken-Gruppen unterschiedliche Ansprüche und Toleranzgrenzen gegenüber Umweltbedingungen auf. Anhand dieser Grundlagen entwickelte das Team anschließend Prognosen dazu, wie sich die Populationen der verschiedenen Kriebelmücken bei den aktuellen Trends im Rahmen des Klima- und Landnutzungswandels entwickeln könnten.
Problematische Vertreter im Aufwind
Wie das Team berichtet, geht aus den Modellen hervor, dass die Populationen der an Gewässeroberläufe angepassten Arten durch die steigenden Temperaturen und Veränderungen der Wasserqualität schwinden werden. Doch besonders die Tieflandarten könnten vom anthropogenen Wandel deutlich profitieren, sich ausbreiten und häufiger auftreten. Das Problem ist dabei: Zu dieser dritten Gruppe gehören insbesondere die veterinär- und humanmedizinisch relevanten Kriebelmücken-Arten. Sie zeichnen sich durch ein besonders aggressives Stechverhalten gegenüber Säugetieren und Menschen aus und treten häufig in sehr hoher Zahl auf. „Zukünftige höhere Temperaturen könnten zu verkürzten Entwicklungszeiten, zu mehr Generationen pro Jahr und damit insgesamt zu einem häufigeren Auftreten von Kriebelmücken führen“, resümiert Erst-Autorin Sarah Cunze von der Goethe-Universität Frankfurt.
Die Forschenden planen nun, die Ergebnisse durch direkte Nachweise von Entwicklungstrends zu untermauern. Außerdem wollen sie durch Labortests ausloten, inwieweit verschiedene Kriebelmücken-Arten in der Lage sind, bestimmte Krankheitserreger unter den in Europa herrschenden Bedingungen zu übertragen. „Die aus den Ergebnissen unserer Studie abgeleiteten Entwicklungstrends für die medizinisch relevanten Kriebelmücken-Arten sind ein Beispiel dafür, wie vektorübertragene Infektionskrankheiten durch den globalen Wandel gefördert werden können“, sagt Klimpel. „Unsere Modellierungsansätze und -ergebnisse können nun dabei helfen, Monitoring und Maßnahmenprogramme für vektorkompetente Arten effizient zu gestalten und Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen abzuleiten“, so der Wissenschaftler.
Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Fachartikel: Science of The Total Environment, doi: 10.1016/j.scitotenv.2024.170454