Hoffnung auf eine globale Trendwende in der Kohlenutzung machten vor allem China und Indien. In China sank im Jahr 2014 trotz stabilen Wirtschaftswachstums erstmals der Kohleverbrauch, außerdem kündigte das Land im Jahr 2016 an, mehr als die Hälfte der geplanten neuen Kohlekraftwerke doch nicht bauen zu wollen. Auch der von der indischen Regierung im Dezember 2016 veröffentlichte Energieplan sah keine weiteren Kohlekraftwerke über die schon im Bau befindlichen hinaus vor – so schien es jedenfalls.
Nur noch 800 Gigatonnen CO2
Diese Entwicklungen weckten die Hoffnung, das für das Klimaschutzziel nötige CO2-Budget doch noch einhalten zu können. Denn um unter der Grenze von zwei Grad Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Ära zu blieben, darf die Menschheit laut Weltklimarat IPCC nur noch circa 700 bis 800 Gigatonnen (Gt) CO2 in die Atmosphäre ausstoßen. Schon jetzt allerdings emittiert die bestehende Infrastruktur, etwa Kraftwerke und Gebäude, bereits etwa 500 Gt. Aus dem Wachstum von Verkehr und Landwirtschaft kommen weitere Emissionen hinzu – zusätzliche Kraftwerke noch nicht mit eingerechnet.
Jetzt haben Forscher des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) eine weitere schlechte Nachricht. Sie haben untersucht, wie die Entwicklung der Kohlkraft in den verschiedenen Ländern der Welt tatsächlich aussieht – und was dies für das CO2-Budget der Menschheit bedeutet.
Neuer Kohleboom in Asien, der Türkei und Ägypten
Das wenig ermutigende Ergebnis: Global gesehen steigt die Zahl der Kohlekraftwerke weiter an. Der Rückgang neuer Kohlekraftwerke in China und Indien wird allein durch den geplanten Zubau in schnell wachsenden Schwellenländern wie etwa der Türkei, Indonesien und Vietnam teilweise zunichte gemacht. So haben zum Beispiel die Türkei, Indonesien und Vietnam vor, zusammengenommen ihre Kapazität um circa 160 Gigawatt zu erhöhen. Das würde etwa der Leistung aller bereits bestehenden Kohlekraftwerke in den 28 EU-Staaten entsprechen.
Diese Entwicklungen würden bedeuten, dass sich der CO2-Ausstoß aus Kohlekraftwerken von 2012 auf 2030 beispielsweise in Vietnam fast verzehnfachen und in der Türkei fast vervierfachen würde. Hinzu kommt, dass im Jahr 2016 auch andere Länder ihre Zubaupläne massiv erhöht haben, zum Beispiel Ägypten um fast 800 und Pakistan um 100 Prozent.
Und auch China hat keine weiße Weste: “Zwar hat China jüngst weniger auf Kohle gesetzt und vielleicht sogar den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen überschritten” sagt Ottmar Edenhofer vom PIK. “Das hat zu Recht starke Beachtung gefunden – doch der Untergang der Kohle wurde zu früh ausgerufen: Neuste Daten zeigen auch, dass China zunehmend in Kohlekraftwerke im Ausland investiert.”
CO2-Budget bald ausgeschöpft
Das aber bedeutet: Durch all diese aktuell im Bau befindlichen und die zusätzlich geplanten Kohlekraftwerke kämen weltweit 150 Gigatonnen CO2-Emissionen zum globalen Emissionsbudget hinzu. Damit wäre der für das Klimaschutzziel maximal zulässige Ausstoß von Treibhausgasen kaum mehr zu halten. Allein der ungebremste Zubau von Kohlekraftwerken wird das weltweite CO2-Budget nahezu aufbrauchen.
“Das Kohleproblem erledigt sich trotz aller Fortschritte bei den erneuerbaren Energien keinesfalls von selbst. Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Ziele zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen erreichen will, um die größten Klimarisiken noch zu vermeiden, dann muss sie entschlossen handeln”, sagt Edenhofer. “Nötig wäre ein Kohleausstieg, und zwar weltweit.”
Es gäbe durchaus Lösungen
Wie dies funktionieren könnte, haben sich die Wissenschaftler schon überlegt. “Das beste Mittel hierfür ist aus ökonomischer Sicht eine substanzielle Bepreisung von CO2″, sagt Edenhofer. ” Diese kann von einem Land zum anderen unterschiedlich aussehen, aber eine Koalition von Pionieren müsste den Anfang machen – noch in diesem Jahrzehnt.” Die Einnahmen dieser Bepreisung könnten in den sozial gerechten Umbau der Steuersysteme oder den Ausbau von gesellschaftlich notwendiger Infrastruktur investiert werden. Denkbar wären außerdem ein Fahrplan zur Schließung von Kohleminen und strengere Kraftwerksvorschriften.
Und auch bei den erneuerbaren Energien muss sich aus Sicht der Forscher mehr tun: “Obwohl die Kosten bei den Erneuerbaren Energien zuletzt gefallen sind, können sie sich noch nicht flächendeckend mit der billigen Kohle messen”, sagt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung. “Die Finanzierungskosten für die Erneuerbaren in Entwicklungs- und Schwellenländern stagnieren auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Damit es hier zu höheren Investitionen kommt, müssten die Kapitalkosten durch kluge Finanzpolitik wie etwa den Einsatz von Kreditausfallversicherungen sinken.”
Quelle: Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Fachartikel: Environmental Research Letters, doi: 10.1088/1748-9326/aaa3a2