Die Klimakrise steht weltweit im Fokus der Aufmerksamkeit, weniger beachtet wird dagegen meist die zweite, ebenso bedrohliche Krise: der rasante Verlust der Artenvielfalt. Doch wie nun Wissenschaftler unterstreichen, sind beide Krisen eng miteinander verknüpft – und erfordern daher auch ein koordiniertes Handeln. Denn ohne Klimaschutz wird die Biodiversität weiter zurückgehen, ein fehlender Artenschutz senkt dagegen die Pufferwirkung der Natur und verstärkt den Klimawandel.
Wir Menschen haben unseren Planeten massiv verändert und auch in den Energiehaushalt und die Stoffströme der Erde eingegriffen. Die Folge ist der globale Klimawandel, durch den sich Atmosphäre und Erdoberfläche immer weiter erwärmen, die Verteilung von Niederschlägen verschiebt und Extremwetterereignisse zunehmen. In den Ozeanen steigt der Meeresspiegel, das Wasser versauert immer mehr und Sauerstoffmangelzonen breiten sich aus. „Die von ihm selbst hervorgerufene Klimakrise ist die wahrscheinlich größte Herausforderung, der sich Homo sapiens in seiner 300.000-jährigen Geschichte stellen muss“, sagt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Zwei Krisen in enger Wechselwirkung
Doch das ist nicht die einzige menschengemachte Krise auf unserem Planeten: „Zeitgleich vollzieht sich eine zweite, ebenso bedrohliche Krise, die häufig etwas untergeht – der drastische Verlust von Tier- und Pflanzenarten auf dem ganzen Planeten”, so Pförtner. Er und sein Team liefern in einer Übersichtsstudie eindrückliche Zahlen zum fortschreitenden Artenschwund. Demnach haben wir Menschen bereits rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Ozeangebiete verändert. Der Verlust an Lebensräumen und die Zerstörung natürlicher Ökosysteme wiederum führte dazu, dass die Biomasse der wildlebenden Säugetiere um rund 80 Prozent abgenommen hat und die Biomasse der Pflanzen um die Hälfte. Heute sind mehr Arten vom Aussterben bedroht als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte.
Zusätzlich verstärkt wird diese Biodiversitätskrise durch den Klimawandel. “Beide Katastrophen – Klimakrise und Biodiversitätskrise – bedingen und verstärken einander und sollten deshalb keinesfalls isoliert betrachtet werden”, erklärt Pförtner. Zum einen entzieht die Klimaveränderung vielen Arten ihre Lebensgrundlage: Sie müssen der Verschiebung der Klimazonen folgen, um die für sie nötigen Lebensbedingungen aufrechtzuerhalten. Viele Spezies aber sind nicht mobil oder anpassungsfähig genug – sie stecken in der Temperaturfalle: Tropische Korallen, Hochgebirgsarten oder polare Spezies haben keine Ausweichmöglichkeiten und sterben aus. Gleichzeitig verringert die Erwärmung auch die Kohlenstoff-Speicherkapazitäten von Organismen, Böden und, was wiederum die Klimakrise verschärft.
Es geht nur mit koordiniertem Handeln
Nach Ansicht von Pförtner und seinem internationalen Team lässt sich der beide Krisen umfassende Teufelskreis daher nur durchbrechen, wenn koordinierte Maßnahmen sowohl das Klima wie den Artenschutz im Blick haben. Dann ergeben sich erhebliche Synergieeffekte: “So könnte schon eine weitgehende Renaturierung von lediglich 15 Prozent der zu Nutzland umgeformten Flächen ausreichen, um 60 Prozent der noch zu erwartenden Aussterbeereignisse zu verhindern”, erklärt der Forscher. “Gleichzeitig könnten damit bis zu 300 Gigatonnen Kohlendioxid langfristig aus der Atmosphäre entnommen und gebunden werden, das entspricht zwölf Prozent allen seit Beginn des Industriezeitalters ausgestoßenen Kohlenstoffs.“
Um den Krisen zu begegnen, schlagen die Wissenschaftler ein Aktionspaket aus Emissionsreduktion, Renaturierungs- und Schutzmaßnahmen und nachhaltigem Management von Nutzflächen vor. Neben der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels plädieren sie dafür, dass mindestens 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz gestellt oder renaturiert werden, um die größten Verluste der Artenvielfalt zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme zu erhalten. Dabei sollten die Naturschutzgebiete keine isolierten Inseln bilden, sondern durch Migrationskorridore zu einem weltumspannenden Netzwerk gemacht werden. Bei von uns Menschen intensiv landwirtschaftlich oder durch Fischerei genutzten Gebieten sei es notwendig, neue ressourcenschonendere Nutzungsformen zu finden, die auch zu einer verstärkten Kohlenstoffbindung in Biomasse und Böden führen.
„All das funktioniert jedoch nur, wenn bei allen beschlossenen Maßnahmen Klimaschutz, Biodiversitätserhalt und soziale Vorteile für die lokale Bevölkerung zusammengedacht werden“, sagt Pörtner. „Die für 2030 und 2050 geplanten neuen globalen Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele werden wahrscheinlich scheitern, wenn die einzelnen Institutionen nicht verstärkt fachübergreifend zusammenarbeiten.” Bisher regeln zwei getrennte internationale Abkommen und getrennte Vertragsstaatenkonferenzen den Schutz der Artenvielfalt und des Klimas. “Hier brauchen wir dringend einen ganzheitlichen Ansatz, wenn die Ziele erreicht werden sollen”, so Pförtner.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung; Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abl4881