Akustische Diagnose in den Gärten Poseidons: Forscher haben einem Computersystem durch maschinelles Lernen beigebracht, den Gesundheitszustand eines Korallenriffs anhand der „Musik“ zu erkennen, die seine Bewohner erzeugen. Die Methode könnte sich nun zu einem wichtigen Instrument der Untersuchung der bedrohten Riffe der Welt entwickeln: Durch das Verfahren konnten die Wissenschaftler bereits den Fortschritt von Riff-Sanierungsprojekten dokumentieren.
Sie sind faszinierende Naturwunder und besitzen eine weitreichende Bedeutung für die komplexen Beziehungssysteme in der marinen Lebenswelt. Doch die Korallenriffe der Welt sind extrem bedroht: Der Klimawandel und weitere menschengemachte Belastungen machen ihnen schwer zu schaffen. Wo sich einst die üppige Pracht der Unterwassergärten entfaltete, breiten sich deshalb vielerorts Wüsten aus. Naturschützer und Wissenschaftler versuchen sich diesem Trend durch Schutzmaßnahmen und Sanierungsprojekte entgegenzustemmen. Dabei kommt der Diagnose des Gesundheitszustands der Riffe eine große Bedeutung zu.
Neben der Analyse von sichtbaren Anzeichen sind auch Rückschlüsse anhand von akustischen Hinweisen möglich, berichten die Forscher um Ben Williams von der University of Exeter. Denn gesunde Korallenriffe sind von einer komplexen Soundkulisse gekennzeichnet: Das Konzert entsteht dabei aus Signallauten von Fischen, dem Knistern von Krabben und weiteren Klangelementen der Bewohner der Unterwasserwelt. Es wurde auch bereits gezeigt, dass der Klang eines gesunden Riffs anziehend auf die Meeresbewohner wirkt. In geschädigten Riffen wird es hingegen immer leiser, bis schließlich gespenstische Stille einkehrt.
Schwierige Diagnosen im Riff
“Eine große Schwierigkeit bei der Diagnose der Riff-Gesundheit besteht bisher darin, dass visuelle und akustische Untersuchungen in der Regel auf arbeitsintensiven Methoden beruhen“, sagt Williams. “Visuelle Erhebungen sind außerdem dadurch eingeschränkt, dass sich viele Riffbewohner verstecken oder nur nachts aktiv sind. Was die akustischen Hinweise betrifft, macht die Komplexität der Riffgeräusche es hingegen schwierig, den Zustand des Riffs anhand einzelner Aufnahmen zu bestimmen“. Deshalb haben die Forscher nun ausgelotet, inwieweit künstliche Intelligenz die Riff-Diagnose anhand von Tonaufnahmen automatisieren kann.
Zum Einsatz kam das sogenannte maschinelle Lernen. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, das auf Computersystemen beruht, die in Beispielen Muster erfassen können, die an bestimmte Faktoren geknüpft sind. Algorithmen bauen im Rahmen der Lernphase dann ein statistisches Modell auf, das auf diesen Trainingsdaten beruht. Anschließend kann das System auf neue Informationen angewendet werden. Der Algorithmus von Williams und seinen Kollegen wurde nun mit Soundaufnahmen trainiert, die von gesunden beziehungsweise geschädigten Riff-Standorten in Indonesien stammten, deren jeweiliger Zustand aus früheren Untersuchungen genau bekannt war.
KI mit analytischem Gehör
Wie die Wissenschaftler berichten, konnte sich das Computersystem tatsächlich zu einem Experten in der Analyse und Diagnose von „Riff-Musik“ entwickeln: Nach der „Ausbildung“ konnte es mit hoher Genauigkeit in neuen Aufnahmen von Soundkulissen den Gesundheitszustand der jeweiligen Unterwasserlandschaft erfassen. “Die Ergebnisse zeigen dabei, dass unser System auch Muster erkennen kann, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind. So kann uns die KI schneller und genauer sagen, wie es einem jeweiligen Riff gerade geht“, sagt Williams.
Neben der Zustandserfassung liegt das Potenzial der KI-Methode vor allem in der Überwachung von Entwicklungsprozessen in geschädigten oder sich erholenden Riffen. Dies konnte das Team anhand der Analyse von Aufnahmen zeigen, die aus dem Mars Coral Reef Restoration Project stammen, das stark beschädigte Riffe in Indonesien wiederherstellt. Dabei zeichnete sich in Vergleichen der Fortschritt im Rahmen der Riffsanierung ab.
“Dies ist eine wirklich spannende Entwicklung. Tonaufzeichnungsgeräte und künstliche Intelligenz könnten auf der ganzen Welt eingesetzt werden, um den Zustand der Riffe zu überwachen und herauszufinden, ob die Versuche, sie zu schützen und wiederherzustellen, funktionieren”, sagt Co-Autor Tim Lamont von der Lancaster University. “In vielen Fällen ist es einfacher und billiger, ein Unterwasser-Hydrophon an einem Riff anzubringen und es dort zu belassen, als dass erfahrene Taucher das Riff immer wieder aufsuchen, um es zu untersuchen – vor allem an abgelegenen Orten“, verdeutlicht der Forscher das Potenzial der KI-Methode.
Quelle: University of Exeter, Fachartikel: Ecological Indicators, doi: 10.1016/j.ecolind.2022.108986
Video mit Erklärungen in Englisch und Soundeindrücken © Ben Williams