Selbst in vermeintlich entlegenen Gebieten beeinflussen die Präsenz des Menschen und seine Eingriffe in die Natur das Tierverhalten. Das zeigt sich auch an den Braunbären in Skandinavien: Normalerweise bleiben dort die Jungtiere etwa eineinhalb Jahre bei ihrer Mutter. Doch inzwischen behalten viele Bärenmütter ihren Nachwuchs ein Jahr länger bei sich – die Jungbären werden zu Muttersöhnchen und -töchtern. Grund dafür ist die Jagd, vermuten Forscher: Solange eine Bärin Jungen hat, bleibt sie verschont.
In Skandinavien leben noch mehrere tausend Braunbären. Vor allem im Norden Schwedens und in Finnland nehmen die Populationen sogar leicht zu. Das Verhalten und Wohlergehen der Bären wird dabei vor allem in Schweden intensiv überwacht – auch weil in diesem Land die Bärenjagd zeitweise erlaubt ist. Zwischen 2010 bis 2014 haben schwedische Jäger rund 300 Braunbären pro Jahr erlegt. Streng geschützt sind dabei jedoch Weibchen mit Jungtieren.
Wie sich die skandinavischen Bestände entwickeln und wie sich die Bejagung auf das Verhalten der Braunbären auswirkt, untersuchen Jon Swenson von der Universität für Umwelt- und Biowissenschaften in Akershus und seine Kollegen seit 1984 in einem Langzeitprojekt. “Das skandinavische Braunbärprojekt ist eines der beiden längsten weltweit, wir haben bereits 500 Bären überwacht, viele von ihnen von der Geburt bis zum Tod”, sagt Swenson.
Ein Jahr länger bei der Mama
Wie sich nun zeigt, wirkt sich der Jagddruck in Schweden bereits deutlich auf die Braunbären aus: Normalerweise bleiben die Jungtiere rund eineinhalb Jahre bei ihrer Mutter, bevor sie dann eigener Wege gehen. “Nur sehr selten haben wir früher Jungtiere beobachtet, die zweieinhalb Jahre bei ihrer Mutter blieben”, sagt Swenson. Doch das hat sich inzwischen geändert. Im Gegensatz zu der Zeit vor 15 bis 20 Jahren behalten deutlich mehr Bärenmütter ihren Nachwuchs heute ein Jahr länger bei sich als früher typisch.
Wie die Forscher berichten, hat sich der Anteil der “Muttersöhnchen” und “-töchter” von nur sieben Prozent im Jahr 2005 auf 36 Prozent im Jahr 2015 erhöht. Dieser Wandel ist dabei jedoch nicht auf ein verändertes Verhalten der einzelnen Bärinnen oder ihrer Jungtiere zurückzuführen, sondern in einer Verschiebung in der Population: Der Anteil der Bärinnen, die grundsätzlich ihre Jungen länger bei sich behalten, hat zugenommen.
Mensch als Selektionsfaktor
Die Ursache dafür sehen die Wissenschaftler im Jagddruck: Weil die Jäger Bärinnen mit Jungtieren verschonen, werden mehr Bärenweibchen abgeschossen, die ihren Nachwuchs schon früh gehenlassen. “Ein einzelnes Weibchen hat in Schweden ein vierfach höheres Risiko abgeschossen zu werde als eine Bärin mit einem Jungen”, sagt Swenson. “Das bedeutet, dass wir vorwiegend die Bärinnen töten, die ihre Jungen nur ein Jahr behalten.”
Letztlich führt die Bejagung der Bären damit zu einem Selektionsdruck, der langfristig das Verhalten dieser Tierart verändert. “Der Mensch ist zu einer evolutionären Kraft im Leben der Bären geworden”, so Swenson.
Das Problem dabei: Wenn Bärinnen ihre Jungen länger bei sich behalten, dauert es länger, bis sie erneut Nachwuchs bekommen. Sie pflanzen sich dadurch weniger fort. “Aus evolutionärer Sicht ist das nachteilig”, sagt Swenson. “Denn die Tiere mit den meisten Nachkommen gewinnen das ‘Rennen’ der Natur.” Im Moment scheint die längere Lebensdauer der Bärinnen diesen Fortpflanzungsnachteil noch auszugleichen. Doch ob das auch langfristig gilt, bleibe abzuwarten, so die Forscher.
Quelle: Norwegian University of Life Sciences, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-018-03506-3