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„Ich bin eine höchst exklusive Materie“

Interview mit einem neuen Element

“Ich bin eine höchst exklusive Materie”
Das Element 112 über Heidegger und Kopernikus und seine Geburt im Linearbeschleuniger. Schön, Sie zu sprechen! Ich nehme an, wir müssen uns beeilen? In der Tat. Ich habe eine Lebensdauer von 280 Millisekunden. Oh, dann mal schnell. Viel Materie von Ihnen scheint es auch nicht zu geben. Stimmt! Die Wissenschaftler hier geben sich alle Mühe, aber sehr viele von uns kriegen sie nicht zustande. Vor 13 Jahren haben sie zum ersten Mal ein Atom erzeugt

In der Tat. Ich habe eine Lebensdauer von 280 Millisekunden.

Oh, dann mal schnell. Viel Materie von Ihnen scheint es auch nicht zu geben.

Stimmt! Die Wissenschaftler hier geben sich alle Mühe, aber sehr viele von uns kriegen sie nicht zustande. Vor 13 Jahren haben sie zum ersten Mal ein Atom erzeugt – ein einziges! Dann war eine Weile Ruhe. Vor neun Jahren haben sie noch mal ein paar Atome von uns zustande gebracht, danach haben auch die Schweizer und die Japaner ein paar geschafft. Sie sehen, ich bin eine höchst exklusive Materie.

Wie darf man sich das eigentlich vorstellen, wenn Sie erzeugt werden?

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Also, da wuseln ein paar vollbärtige, zerstreute Chemiker durch ein mit Reagenzgläsern und Erlenmeyerkolben vollgestopftes Labor, rühren verschiedene Substanzen zusammen, es knallt und zischt – und plötzlich erscheinen wir und

singen: “Schön ist es, auf der Welt zu sein .”

Sie scherzen!

Naja . in Wahrheit ist es eher so: Wir entstehen, indem ein Strahl aus Zink-Ionen, der in einem 120 Meter langen Tunnel durch ein Magnetfeld auf 30000 Stundenkilometer beschleunigt wurde, auf eine Bleifolie trifft, auf der die Zink-Ionen mit den Bleiatomen aber so was von zusammenrumpeln, dass ungefähr bei jedem Hundert Billionsten Zusammenprall ein noch nie dagewesener Atomkern entsteht. So einer wie ich. Und nach einer gewissen Zeit, meist nach ein paar Millisekunden, zerfallen wir wieder in unsere Bestandteile.

Sehr interessant. Aber wenn Sie die Frage gestatten: Wozu braucht die Welt Sie überhaupt?

Die Welt braucht uns nicht – oder sagen wir mal, das, was Sie als Welt so wahrnehmen. Von uns aus könnte das Periodensystem beim Element Nr. 94, Plutonium, aufhören. Nur die Wissenschaftler behaupten immer, dass sie durch uns künstliche Elemente so tolle Erkenntnisse kriegen. Die wollen den Urknall verstehen! Begreifen, wie das damals war in den ersten Millionstel Sekunden, als die Materie noch nicht in Atomen, sondern als Quark-Gluon-Plasma

vorlag. Herrlich, was die sich einbilden.

Deshalb sehen manche Sie auch als Symbol einer Wissenschaft, die mit dem wirklichen Leben nicht viel zu tun hat: Riesenaufwand, Ergebnisse

ohne praktischen Sinn.

Kein Problem damit, würden wir sofort unterschreiben. Das muss man im Übrigen keineswegs negativ sehen – ganz im Gegenteil: Wir sind Kunstwerke. Wir brauchen keine Berechtigung, um zu existieren. Um es mit dem Philosophen Martin Heidegger zu sagen: Wir sind das reine Sein; zugleich aber das Nichts als Seiendes. Wir sind das Sein, das sich entzieht, indem es sich in das Seiende entbirgt.

Äh . klingt logisch. Übrigens, kriegen Sie eigentlich bald einen richtigen Namen?

Hoffentlich! Bislang heiße ich ja offiziell noch Ununbium. Das ist der systematische Name, der meine Ordnungszahl 112 bezeichnet. Meine Wissenschaftler wollen, dass ich mit richtigem Namen Copernicium heiße.

Schöner Namenspatron!

Naja, weil die Elektronen um den Kern kreisen wie die Planeten um die Sonne … Bisschen plump, die Symbolik. Aber wenn’s euch gefällt! Uns ist es wurscht.

MARTIN RASPER

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