Komplexe Fähigkeiten von anderen erlernen zu können, gilt als eine besondere Begabung des Menschen. Doch nun geht aus einer Studie hervor, dass sogar soziale Insekten zu hochentwickelten Formen des sozialen Lernens fähig sind: Hummeln können sich von Artgenossen neue Verhaltensweisen abschauen, die zu komplex sind, als dass sie sie alleine hätten hervorbringen können. Offenbar verfügen sie demnach ebenfalls über die grundlegende Fähigkeit, auf der unsere kumulative Kultur beruht, sagen die Forschenden.
Vom Faustkeil bis zum Smartphone: Der Mensch hat im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte seine Techniken und Problemlösungsstrategien immer weiter ausgefeilt, bis sie teils ein extremes Niveau der Komplexität erreichten. Diese Leistungen basieren dabei auf unserer Fähigkeit, die individuelle Intelligenz entscheidend zu erweitern: Wir können in hochentwickelter Weise von unseren Mitmenschen lernen. Dabei ist auch eine soziale Vermittlung von sehr komplexem Wissen und vielschichtigen Verhaltensweisen möglich. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage der sogenannten kumulativen Kultur, auf der unsere heutigen Technologien beruhen. Doch inwieweit ist das komplexe soziale Lernen ein Alleinstellungsmerkmal unserer Spezies?
Soziale Lernfähigkeit von Hummeln ausgelotet
Zumindest die grundlegenden Fähigkeiten werden bereits unseren nächsten Verwandten im Tierreich zugesprochen. Beispielsweise scheinen Techniken wie das Nüsseknacken bei Schimpansen auf kultureller Übertragung zu basieren. Doch wie nun die Studienergebnisse des Forschungsteams um Alice Bridges von der Queen Mary University of London nahelegen, könnten sogar einige Insekten die kognitiven Grundvoraussetzungen für kulturelles Lernen besitzen. Grundsätzlich haben Studien der letzten Jahre bereits gezeigt, dass diese Wesen keineswegs so simpel sind, wie man lange angenommen hat. Vor allem Bienen haben dabei Köpfchen bewiesen: Die sozialen Insekten können nicht nur Aufgaben lösen und sich erfolgreiche Strategien merken. Es wurde schon dokumentiert, dass sie sich auch bestimmte Verhaltensweisen von Artgenossen abschauen können. Die Grenzen dieser sozialen Lernfähigkeit von Hummeln haben Bridges und ihre Kollegen nun weiter ausgelotet.
Zunächst brachten die Wissenschaftler einigen Erdhummeln (Bombus terrestris) bei, ein komplexes Versuchssystem zu bedienen, um an eine Zuckerlösung als Belohnung zu gelangen. Die Versuchstiere mussten dabei lernen, zuerst ein blau gefärbtes mobiles Element zu verschieben. Dadurch wurde dessen Blockadefunktion aufgehoben. Erst nach diesem Schritt konnten die Hummeln ein rot gefärbtes Element bewegen, wodurch sie Zugang zu der Zuckerlösung gewannen. „Es handelte sich um eine äußerst schwierige Aufgabe: Die Hummeln sollten zwei Schritte lernen, um die Belohnung zu erhalten, wobei das erste Verhalten in der Sequenz unbelohnt blieb“, sagt Bridges. Ohne eine Hilfe beim Lernprozess war auch keine Hummel in der Lage, die zweistufige Erfolgsstrategie durch „Trial-and-Error“ zu entdecken. Nur nach einer anfänglichen Belohnung schon nach dem ersten Arbeitsschritt, konnten die Hummeln schließlich lernen, dass die Abfolge der Aktionen zum Erfolg führt. Hatten sie das System aber einmal erfasst, schoben sie anschließend auch ohne die erste Belohnung die beiden Elemente in der richtigen Reihenfolge.
Video: Wenn Hummeln trainiert oder aber durch eine Artgenossin „ausgebildet“ wurden, können sie diese zweistufige Aufgabe lösen. © Alice Bridges
Insekten-Kultur auf der Spur?
Dann folgten die eigentlichen Tests zur Untersuchung der sozialen Lernfähigkeit: Die Forschenden setzten zu den trainierten Hummeln jeweils eine Partnerin in die Versuchsanlage, die das System zuvor noch nicht kennengelernt hatte. Diese Hummeln konnten dann beobachten, wie die Expertinnen den zweistufigen Mechanismus erfolgreich bedienten. Anschließend wurden diese Zeuginnen dann alleine mit der Aufgabe konfrontiert. Wie die Forschenden berichten, erwiesen sich dabei fünf der insgesamt 15 Versuchs-Hummeln tatsächlich als gelehrige Schülerinnen: Sie bedienten die mobilen Elemente ebenfalls in der richtigen Reihenfolge, ohne nach dem ersten Schritt belohnt werden zu müssen. Die Insekten hatten also durch soziales Lernen ein Verhalten übernommen, zu dessen Entwicklung sie alleine nicht fähig gewesen wären, resümieren die Wissenschaftler.
Ihnen zufolge beleuchtet die Studie damit nun erneut, zu welch erstaunlichen Leistungen die kleinen Gehirne von Insekten fähig sind. Konkret stellen die Ergebnisse die traditionelle Annahme infrage, wonach nur höher entwickelte Lebewesen zu komplexen Formen des sozialen Lernens fähig sind. Dies impliziert sogar die spannende Möglichkeit, dass es auch bei manchen Insekten eine Form von kumulativer Kultur geben könnte. Dazu sagt Seniorautor Lars Chittka von der Queen Mary University of London abschließend: “Man denke etwa an die raffinierte Nistarchitektur von Bienen und Wespen oder die landwirtschaftlichen Tätigkeiten von Ameisen, die Blattläuse und Pilze züchten. Es scheint möglich, dass einige der faszinierendsten Fähigkeiten bei sozialen Insekten, durch Nachahmung cleverer Innovatoren entstanden sind, bevor sie schließlich Teil des artspezifischen Verhaltensrepertoires wurden“, so der Wissenschaftler.
Quelle: Queen Mary University of London, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07126-4