Ist Kultur lediglich Lebewesen mit großem Gehirn vorbehalten? Eine Studie legt nahe, dass auch Hummeln in der Lage sind, voneinander zu lernen und erlernte Verhaltensweisen kulturell innerhalb einer Kolonie weiterzugeben. Im Experiment lernten Hummeln, eine Rätselbox zu öffnen, indem sie erfahrene Individuen beobachteten. Obwohl es einen alternativen, gleichwertigen Lösungsweg gab, bevorzugten die Tiere den abgeschauten. Das deutet darauf hin, dass es sich tatsächlich um ein kulturell erworbenes Verhalten handelte.
Verschiedene soziale Tierarten sind in der Lage, Wissen und Verhaltensweisen innerhalb einer Gemeinschaft weiterzugeben: Schimpansen unterschiedlicher Populationen zeigen jeweils eigene Taktiken des Werkzeuggebrauchs, Singvögel pflegen unterschiedliche Dialekte und Wale jagen ihre Beute je nach Population auf unterschiedliche Weise. All diese Verhaltensweisen, die nicht angeboren, sondern sozial erworben sind, gelten als Zeichen von Kultur.
Rätselnde Erdhummeln
„Bisher hat sich die Forschung zur Kultur bei Tieren jedoch vor allem auf Wirbeltiere mit relativ großem Gehirn fokussiert“, schreibt ein Team um Alice Bridges von der Queen Mary University in London. Unklar war bislang, ob es ähnliche Phänomene auch bei Insekten gibt. „Soziale Insekten verfügen über eines der faszinierendsten und kompliziertesten Verhaltensrepertoires, die es gibt, beispielsweise die Tanzsprache der Honigbienen und die Pilzzucht der Blattschneiderameisen“, sagt Bridges. „Allerdings sind ihre Gehirne nur etwa so groß wie ein Stecknadelkopf, und viele ihrer Verhaltensweisen sind vermutlich angeboren. Ich war neugierig, ob einige dieser Verhaltensweisen durch kulturähnliche Prozesse entstanden sein könnten, zumindest ursprünglich.“
Um herauszufinden, ob Insekten zumindest grundsätzlich dazu in der Lage sind, Verhaltensweisen kulturell weiterzugeben, führten Bridges und ihr Team Verhaltensexperimente mit Erdhummeln (Bombus terrestris) durch. Dazu bauten sie Rätselboxen, die als Belohnung eine Zuckerlösung auf einem großen gelben Punkt enthielten. Um den Leckerbissen zu erreichen, mussten die Hummeln den Deckel der Box entweder im oder gegen den Uhrzeigersinn drehen, indem sie gegen eine von zwei Laschen am Deckel krabbelten und so eine der beiden Öffnungen im Deckel über den gelben Punkt schoben.
Soziales Lernen formt Vorlieben
In einem ersten Schritt trainierten die Forschenden eine einzelne Hummel aus einer Kolonie darauf, den Deckel gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Sobald diese Demonstrator-Hummel gelernt hatte, die Box zu öffnen, setzten Bridges und ihr Team dieses Individuum gemeinsam mit untrainierten Tieren in eine Flugarena mit freiem Zugang zu mehreren Rätselboxen. Über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Tagen filmten sie die Hummeln und beobachteten, wie sie mit den Boxen umgingen. Als Kontrolle dienten zwei Kolonien, die ohne ein trainiertes Vorbild Zugang zu den Rätselboxen bekam.
Das Ergebnis: Gab es eine Demonstrator-Hummel, schauten sich die anderen Hummeln die Lösung des Rätsels innerhalb weniger Tage bei ihr ab und begannen ebenfalls, die Box zu öffnen, indem sie den Deckel gegen den Uhrzeigersinn drehten. „Selbst wenn einige der Tiere das alternative Verhalten ausprobierten und merkten, dass sich der Deckel auch im Uhrzeigersinn öffnen lässt, entwickelte die Kolonie eine starke Vorliebe für die Version der Demonstrator-Hummel“, berichtetet Bridges. Das gleiche Ergebnis zeigte sich in Versuchen, bei denen die Demonstrator-Hummel gelernt hatte, den Deckel im Uhrzeigersinn zu drehen. Auch hier folgte die Kolonie ihrem Lösungsweg.
„In Kontrollversuchen, bei denen kein Demonstrator anwesend war, öffneten einige Hummeln die Rätselboxen spontan, waren aber deutlich weniger geschickt als diejenigen, die in Anwesenheit eines Demonstrators gelernt hatten“, berichtet das Team. „Das deutet darauf hin, dass soziales Lernen für das richtige Öffnen der Boxen entscheidend ist.“ Setzten die Forschenden mehrere Demonstrator-Hummeln, die auf unterschiedliche Drehrichtungen trainiert waren, zu einer Kolonie, lernten ihre Artgenossen, die Box auf beide Weisen zu öffnen. Auch in diesen Kolonien entwickelte sich allerdings innerhalb weniger Tage eine Vorliebe für eine der beiden Lösungen.
Kultur in freier Wildbahn?
Die Ergebnisse zeigen, dass Erdhummeln tatsächlich in der Lage sind, Fähigkeiten durch soziales Lernen weiterzugeben – eine Grundvoraussetzung für Kultur. Ob sie allerdings tatsächlich auch in freier Wildbahn eine Art Kultur pflegen, ist weiterhin unklar. „Die Lebensspanne der Erdhummel-Arbeiterinnen ist kurz und anders als bei Honigbienen überdauern die Kolonien nicht den Winter“, erklärt das Forschungsteam. „Da keine Arbeiterinnen den Winter überleben, sterben mit ihnen auch mögliche Traditionen. Daher scheint es unwahrscheinlich, dass Erdhummeln in der freien Natur Kulturen aufbauen, die biologische Generationen überdauern.“
Da jedoch die grundlegende biologische Fähigkeit zur kulturellen Weitergabe vorhanden ist, könnte es sein, dass andere Hummelarten, die den Winter überleben, durchaus Traditionen haben, die über mehrere Generationen gepflegt werden. Aus Sicht von Bridges und ihrem Team könnten weitere Studien zu kulturellem Verhalten bei Insekten dazu beitragen, Einblicke in die evolutionären Ursprünge von Kultur zu gewinnen.
Quelle: Alice Bridges (Queen Mary University of London, UK) et al., PLOS Biology, doi: 10.1371/journal.pbio.3002019