Einem erstaunlichen Austausch von Erbinformation auf der Spur: Forschende haben bei Insekten-befallenden Pilzen einen horizontalen Chromosomen-Transfer nachgewiesen. Dabei wird ein ganzer Erbgutträger auf asexuelle Weise zwischen Individuen ausgetauscht. Das System ähnelt offenbar dem horizontalen Gentransfer bei Bakterien: Durch die Übertragung des Chromosoms können sich die Pilze offenbar genetische Programme aneignen, die ihnen den Befall ihrer Opfer erleichtern. Möglicherweise spielt dieses Konzept bei der Anpassungsfähigkeit mancher Pilze eine wichtige Rolle, sagen die Wissenschaftler.
Bei uns und anderen höheren Lebewesen ist der vertikale Transfer die Regel: Erbgut wird von Eltern an die nächste Generation weitergegeben. Neben dieser Übertragungsform gibt es in der Natur allerdings auch eine weitere: Beim horizontalen Gentransfer wird genetisches Material zwischen verschiedenen, auch artfremden Individuen der gleichen Generation weitergegeben. Dieses System ist vor allem bei den Bakterien üblich – und berüchtigt. Bei ihnen erfolgt der horizontale Gentransfer durch die Übertragung eines Rings aus genetischem Material – eines sogenannten Plasmids. So können sich die Einzeller schnell nützliche Gen-Programme von anderen Mikroben aneignen. Beispielsweise verbreiten bakterielle Krankheitserreger durch dieses Konzept untereinander Gene, die ihnen eine Resistenz gegen Antibiotika vermitteln.
Horizontaler Gentransfer bei Eukaryoten
Bei den eukaryotischen Lebewesen, zu denen Tiere, Pflanzen und Pilze gehören, ist horizontaler Gentransfer dagegen selten. Das liegt unter anderem daran, dass bei diesen Organismen im Gegensatz zu den bakteriellen Prokaryoten das Erbgut in einem Zellkern vorliegt. Zudem ist es dort in Erbgutträgern verpackt – den Chromosomen. Dennoch sind bereits einige Fälle von horizontalem Gentransfer bei Eukaryoten bekannt. Meist wurden dabei bestimmte genetische Sequenzen anderer Organismen „aufgesammelt“ und ins Genom fest integriert. Bei Pilzen gab es allerdings auch schon Hinweise darauf, dass es unter bestimmten Umständen zur horizontalen Übertragung eines ganzen Chromosoms kommen kann. Bisher wurde dies aber nur unter speziellen Laborbedingen gezeigt. Die Forschenden um Michael Habig von der Universität Kiel haben das Phänomen nun dagegen bei natürlichen Bedingungen nachgewiesen und erste Einblicke in seine Funktion gewonnen.
Sie entdeckten den horizontalen Chromosomen-Transfer per Zufall durch genetische Untersuchungen bei Pilzen, die im biologischen Pflanzenschutz eingesetzt werden: Verschiedene Vertreter der Gattung Metarhizium befallen Insekten und werden deshalb gezielt ausgebracht, um bestimmten Schädlingen den Garaus zu machen.
Dabei ist bemerkenswert, dass die Opfer offenbar Schwierigkeiten haben, dauerhafte Resistenzen gegen die pilzlichen Erreger zu entwickeln. Vermutlich befinden sich die Kontrahenten demnach in einem evolutionären Rüstungswettkampf, der auf genetischen Veränderungen beruht. Um die Mechanismen zu beleuchten, haben Habig und seine Kollegen Untersuchungen an verschiedenen Stämmen des Pilzes Metarhizium robertsii durchgeführt, der eingesetzt wird, um eine invasive Ameisenart in Südamerika zu bekämpfen.
Ein ganzes Chromosom wird übertragen
Im Rahmen der Studie untersuchte das Team die Genome verschiedener Stämme des Pilzes, um ihr Infektionspotenzial gegenüber den Ameisen auszuloten. Bei den Analysen der genetischen Daten, kam es dann zu dem spannenden Befund: Es zeigte sich, dass ein einzelnes Chromosom sehr häufig zwischen zwei unterschiedlichen Stämmen horizontal ausgetauscht worden war. Da sich die Metarhizium-Pilze nur asexuell vermehren, kann es sich dabei nicht um eine vertikale Übertragung gehandelt haben. „Die Analyse der Erbinformationen der Pilzstämme zeigt, dass im Laufe der Co-Infektionsexperimente insgesamt fünfmal unabhängig ein einzelnes Chromosom übertragen wurde, aber keine weitere Erbinformationsübertragung von einem Stamm zum anderen per horizontalem Transfer stattgefunden hat“, sagt Habig. Weiterführende Untersuchungen lieferten zudem Hinweise darauf, dass das gleiche Chromosom auch in der entfernt verwandten, ebenfalls Insekten-befallenden Pilzart Metarhizium guizhouense zu finden ist. „Die Weitergabe des Chromosoms scheint also auch auf natürlichem Wege zwischen verschiedenen Pilzarten stattgefunden zu haben“, so Habig.
Insekten-Killer schieben sich Waffen zu
Wie die Forschenden erklären, könnte dieser spezielle Erbgutträger eine Funktion besitzen, die derjenigen der Plasmide bei Bakterien ähnelt. „In den Experimenten zeigte sich, dass die Pilze, die das Chromosom empfangen hatten, unter bestimmten Bedingungen Wettbewerbsvorteile gegenüber Pilzen des gleichen Stamms hatten, der das Chromosom nicht aufgenommen hatte, und sich gegen diese durchsetzen konnten“, sagt Habig. Konkret fanden die Wissenschaftler Hinweis darauf, dass das Chromosom genetische Programme trägt, die für den erfolgreichen Befall der Insekten wichtig sind. Zudem könnten auch Gene darauf sitzen, die mit der horizontalen Übertragbarkeit des Chromosoms verbunden sind, sagen die Forschenden.
Damit ist das Team nun einem spannenden Aspekt in der Genomevolution von Pilzen auf der Spur: Möglicherweise können diese Eukaryoten Bakterien-ähnliche Mechanismen der schnellen evolutionären Anpassung nutzen, um zum Beispiel ihre Virulenz oder Schädlichkeit für ihren Wirtsorganismus zu erhöhen und genetische Informationen über Artgrenzen hinweg zu übertragen. Deshalb planen die Forschenden nun auch, die Bedeutung dieses System durch weitere Untersuchungen genauer auszuloten.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2316284121