Die negativen Auswirkungen des Zorns sind allgegenwärtig: Nicht nur an Extremereignissen wie Mord, Totschlag, Terror und Krieg hat dieses Gefühl häufig einen Anteil, sondern auch im Alltag: Bei der Reaktion auf den Fahrer des vorausfahrenden Autos, das im Schneckentempo über die Straße kriecht, auf den aufdringlichen Vertreter an der Haustür oder auf den Partner, der wieder einmal viel später nach Hause gekommen ist als versprochen überall ist der Zorn beteiligt. Zorn ist eines der häufigsten Gefühle, und das nicht ohne Grund: Es ist die angemessene Reaktion, auf Ungerechtigkeit und Benachteiligung zu reagieren, argumentiert Degen in der Oktoberausgabe der Zeitschrift “bild der wissenschaft”, die Auszüge aus Degens Buch veröffentlicht.
So hätte es wohl kaum eine Bürgerinitiative, Befreiungsbewegung oder politische Initiative gegeben, wenn nicht Menschen über bestehende Verhältnisse in Zorn geraten und aufgestanden wären. Solche Zornesreaktionen gab es bereits früh in der Evolutionsgeschichte des Menschen: “Wenn unsere Vorfahren nicht aufbegehrt hätten, sobald sie in reziproken Tauschbeziehungen über den Tisch gezogen wurden, hätten sie sich schwere Nachteile eingehandelt und wären schließlich abserviert worden”, erklärt der amerikanische Psychologe Nigel Barber. Der Zorn ist also von jeher ein Instrument des Menschen, das ihm hilft, zu seinem Recht zu kommen.
Auch der Vorstellung, Zorn führe automatisch zu Gewalt, erteilen Wissenschaftler eine Absage: So arten nur in zehn Prozent aller Fälle Zornesausbrüche in Handgreiflichkeiten aus, hat etwa der Psychologe Howard Kassinove von der Hofstra-Universität in Long Island nachgewiesen. Ein enormer Anteil schwerer Gewalttaten wird dagegen nicht im Zorn, sondern aus eiskalter Berechnung ausgeführt.
Verhilft der Zorn dem Menschen zu dem, was ihm zusteht, so hält der Ekel ihn zunächst einmal davon ab, Verdorbenes zu essen: Fauliges Fleisch, schimmelndes Gemüse, übelriechendes Wasser verursacht Ekel, und dieser schützt davor, den Körper zu vergiften. Hinzu kommt der Schutz vor Krankheiten: Fäkalien, Schleim, Blut und anderen Körperausscheidungen verursachen Ekel.
Doch der Ekel ist viel mehr: Er kann sich zu einer Art moralischem Messinstrument entwickeln. Das hängt damit zusammen, dass nicht angeboren ist, was genau als ekelig empfunden wird. “Die Evolution hat das Ekelgefühl offenbar flexibel und lernfähig gemacht”, schreibt Degen. Der Mensch ekelt sich vor den Dingen, die in der Gesellschaft als ekelhaft gelten, in der er aufgewachsen ist. So finden die meisten Mexikaner nichts dabei, Mehlwürmer zu verspeisen. Der Durchschnittseuropäer wendet sich davon hingegen mit Grausen ab.
Diese Prägung erstreckt sich nicht nur auf die vergleichsweise banalen Fragen des Essens und Trinkens, sondern auf die grundlegenden Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Lange Zeit waren beispielsweise eine Frau, die ein uneheliches Kind zur Welt brachte, ein homosexueller Mann oder ein bekennender Atheist in den christlich geprägten Kulturen Gegenstand heftigen Ekels. Heute haben sich die gesellschaftlichen Vorstellungen so verändert, dass dieses Gefühl in dem Zusammenhang den meisten Menschen völlig abwegig erscheint.
Fragt man heute hingegen Menschen, wem gegenüber sie Ekel empfinden, so geben sie unter anderem Rassisten, Kinderschänder, Heuchler und politisch extrem links oder rechts Stehende an, hat der amerikanische Psychologe Paul Rozin herausgefunden. Ekel ist also für den Menschen ein wichtiges Messinstrument dafür, welche moralischen Kriterien in seiner Gesellschaft gelten.
Dieses Instrument kann jedoch auch in Fällen Alarm schlagen, die aus rein rationaler Sicht eigentlich unbedenklich wären: So wird nahezu jeder Mensch bei der Vorstellung eines Geschwisterpaars, das miteinander schläft, großen Ekel empfinden, auch wenn das Paar dabei Freude empfindet und mit Verhütungsmitteln eine Schwangerschaft ausschließen kann. Eine solche Verbindung lehnten alle Befragten in einer Studie des Psychologen Jonathan Haidt von der Universität von Virginia kategorisch ab eine rationale Begründung konnten sie dafür jedoch nicht liefern. Der tief verankerte Ekel vor dem Inzest hatte hier alle moralischen Überlegungen überlagert.