Meeresmuscheln lieben es turbulent: Sie wachsen mit Vorliebe in der Gezeitenzone des Meeres und damit in einem Bereich, in dem Brandung, starke Strömungen und wechselnde Bedingungen zum Alltag gehören. Auf diese Weise entgehen sie am ehesten ihren Fressfeinden, darunter Krebsen, Fischen und Seesternen. Denn diese wagen sich nicht ohne weiteres in die turbulente Gezeitenzone, wodurch die Gefahr des Gefressenwerdens für die Muscheln sinkt. Allerdings hat das ganze einen Haken – sogar wortwörtlich: Überleben können die Muscheln nur dann, wenn sie fest genug am Untergrund haften und sich nicht durch Strömung und Wellen wegreißen lassen. “Eine feste Bindung ist buchstäblich der Lebensanker der Muscheln”, erklärt Studienleiterin Emily Carrington von der University of Washington. Dank eines genialen Patents der Natur ist dies normalerweise für die Muschel kein Problem: Sie verklebt sich mit langen, extrem stabilen Fäden, den sogenannten Byssusfäden, mit dem Untergrund. Diese bestehen aus Proteinfasern, die von einer sehr dehnbaren und strapazierfähigen Schutzhülle aus einem Biopolymer mit eingebetteten Eisenionen umgeben sind.
Muscheln im Härtetest
Carrington und ihre Kollegen haben nun untersucht, ob und wie künftige Meeresbedingungen diese wichtigen Haltefäden der Muscheln beeinflussen. In ihren Experimenten setzten sie verschiedene Miesmuschelarten (Mytilus) jeweils zwölf Tage lang saurerem und wärmeren Wasser als heute im Nordatlantik normal aus. Der pH-Wert variierte dabei je nach Ansatz von pH 8 – normal – bis zu pH-Werten von nur noch 5. “Wir haben dabei gezielt untersucht, ob das Absenken des pH-Werts das Aushärten der Byssusfäden beeinträchtigt”, erklärt Carrington. Dafür spannten sie die Muschelfäden in ein spezielles Gerät ein und maßen, bei welchen Dehnungskräften sie reißen. Die Muscheln erzeugen ihre Fäden in einer Grube an ihrem Fuß, indem Drüsen dort verschiedenen Proteine freisetzen, die unter künstlich sauer gehaltenen Bedingungen vermischen. Kommt diese Mischung dann mit dem neutralen oder leicht alkalischen Meerwasser in Kontakt, bilden sich feste Bindungen zwischen den Proteinen und der Faden härtet erst dadurch aus.
Das Ergebnis: In saurerem Wasser schaffen die Muscheln es nicht mehr, ihre Fäden so stabil zu halten. “Schon wenn das Meerwasser unter pH 7,6 sank, produzierten die Muscheln schwächere Byssusfänden”, berichtet Carrington. Die Reißtests ergaben, dass die unter diesen Bedingungen erzeugten Fäden 25 Prozent weniger haltbar waren als normal. “Wir schließen daraus, dass die Muscheln den höheren pH-Wert des Meerwassers benötigen, um ihre Haltefäden genügend auszuhärten und so starke Verbindungen mit dem Untergrund zu schaffen”, erklärt die Forscherin. Eine der untersuchten Muschelarten, die im Nordpazifik verbreitete Miesmuschel Mytilus trossulus, reagierte zudem auf die Erwärmung des Meerwassers empfindlich: Ihre Fäden wurden bereits dann schwächer, wenn das Wasser bei gleichbleibenden pH-Wert wärmer wurde als 18 Grad Celsius, wie die Wissenschaftler berichten.
Den Prognosen der Klimaforscher nach wird sich der pH-Wert in den meisten Meeresbereichen bis zum Ende des Jahrhunderts nur von pH 8 auf 7,8 verringern – also knapp oberhalb der Schwelle, ab der die Muscheln Probleme bekommen. Doch ein Grund zur Entwarnung ist dies nicht, wie Carrington betont: “Die Muscheln leben in hochdynamischen Küstengewässern, in denen die pH-Werte ohnehin um bis zu 0,5 pH-Einheiten nach oben oder unten fluktuieren”, so die Forscherin. Zudem liege das Meerwasser örtlich sogar jetzt schon bei pH 7,8, beispielsweise vor der Nordwestküste der USA. “Das bedeutet, dass die Muscheln schon jetzt zeitweise Bedingungen ausgesetzt sind, die ihre Haltefäden schwächen – und diese Phasen könnten in Zukunft länger und schwerwiegender werden.” Tatsächlich verlieren bereits jetzt bis zu 20 Prozent der Miesmuscheln in kommerziellen Muschelbänken während ihrer sechs bis zwölfmonatigen Reifezeit ihren Halt und gehen so verloren.