Hagelkörner und Starkregen-Tropfen im Visier: Um Einblicke in die physikalischen Grundlagen der Extrem-Niederschläge zu gewinnen, lassen deutsche Forscher echte sowie im 3D-Druckverfahren hergestellte Hagelkörner aus Kunststoff durch einen weltweit einmaligen Windkanal sausen. Sie haben bereits Informationen gewonnen, die Vorhersagemodellen zugutekommen können.
Manchmal schlägt das Wetter bekanntlich hart zu: Hagel oder Graupel-Schauer sowie Schlagregenfälle prasseln vom Himmel. Diese extremen Formen des Niederschlags können für schwere Schäden in der Landwirtschaft sorgen und vor allem Hagelkörner gefährden Gebäude und Fahrzeuge sowie Mensch und Tier. Wie sich bereits abzeichnet, ist mit einer Zunahme dieser Bedrohungen im Zuge des Klimawandels zu rechnen. Deshalb ist es wichtig, die Prozesse bei der Entstehung der extremen Formen des Niederschlags zu erforschen. So lassen sich Risiken besser einschätzen und Wettermodelle entwickeln, um das Auftreten und das Ausmaß bestmöglich vorhersagen zu können.
Was grundlegend abläuft, ist bekannt: Hagel und Graupel entstehen, wenn Wassertropfen in den sehr hoch in die Atmosphäre reichenden Gewitterwolken gefrieren. Je nach den jeweiligen Bedingungen in der Wolke erhalten die gefrorenen Teilchen ihre charakteristische Form, Größe und Masse. Erreichen sie beim Herunterfallen dann wärmere Schichten, können sie komplett schmelzen. So entstehen die großen, kalten Regentropfen, die als Schlagregen niedergehen. Reicht die Fallzeit der Eisteilchen bis zum Boden hingegen nicht aus, um sie vollständig zu schmelzen, fallen Graupel- oder Hagelkörner. Über die genaueren Prozessen sowie über die wolkenphysikalischen Umstände bestehen jedoch Unklarheiten.
Einblicke in die Niederschlags-Physik
Wie die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) nun berichtet, steht in Deutschland eine weltweit einzigartige Versuchsanlage für die Erforschung von Hagel und Co zur Verfügung: der vertikale Windkanal am Institut für Physik der Atmosphäre an der JGU. In der sechs Meter hohen Anlage wird ein Luftstrom erzeugt, der dem Gegenwind beim Fall von Hagel- und Graupelkörnern entspricht. Dabei können verschiedene Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen eingestellt werden, wie sie unter realen Bedingungen auftreten können. Während sich die Versuchsobjekte in dem vertikalen Luftstrom bewegen, können sie die Wissenschaftler mithilfe von Hochgeschwindigkeits- und Infrarotkameras sowie einem speziell entwickelten holografischen Bildaufzeichnungssystem genau beobachten, berichtet die JGU.
Für die Experimente hat das Team aus Forschern der JGU und des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz Hagel- und Graupelkörner aus Eis im Labor hergestellt. Wie diese Gebilde fallen beziehungsweise schmelzen, konnten sie dann in der Anlage genau untersuchen. Zusätzlich stellen sie nach Vorlagen realer Versionen künstliche Hagel- und Graupelgebilde aus Kunststoff her, bei denen sogar die Materialdichte mit den eisigen Vorbildern übereinstimmt. Diese Gebilde konnten der Untersuchung der Strömungseigenschaften der fallenden Objekte sowie ihrer Zerstörungskraft dienen.
Eisige und künstliche Hagelkörner liefern Hinweise
Durch ihre Experimente haben die Wissenschaftler nun bereits neue Einblicke in die Physik der Niederschläge gewonnen, berichtet die JGU. “Wir konnten in unseren Experimenten mit echten Hagelkörnern zeigen, wie sie beim Schmelzen zu Regentropfen werden, die mehrere Millimeter groß sind. Wir konnten auch sehen, wie große Hagelsteine während des Schmelzprozesses zerplatzen, wobei zahlreiche kleine Wassertröpfchen entstehen”, sagt Miklós Szakáll von der JGU. Die erfassten Prozesse konnten die Forscher bereits in numerische Simulationen von Wolken und Niederschlag einfließen lassen.
Was die Versuche mit den künstlichen Hagelkörnern betrifft, ergaben sich Hinweise darauf, wie die Form und Oberflächenbeschaffenheit Flug und Zerstörungspotenzial beeinflussen, berichtet die JGU. “Wir haben beispielsweise aufgezeigt, inwieweit die Form der Hagelkörner entscheidend für ihre Geschwindigkeit vor dem Aufschlag ist”, sagt Szakáll. Zudem zeigte sich, dass genoppte Hagelsteine eine geringere kinetische Energie und somit weniger Zerstörungskraft besitzen als ungleichmäßig geformte glatte Versionen.
Der Windkanal hat damit wichtige Daten zum besseren Verständnis der physikalischen Prozesse im Rahmen von Starkregen-, Hagel- und Graupelniederschlag geliefert, schreibt die JGU. Dazu sagt Stephan Borrmann vom Max-Planck-Institut für Chemie abschließend: “Wendet man unsere durch diese Experimente gewonnene mikrophysikalische Beschreibung des Niederschlags auf Modelle zur Berechnung von Gewitterwolken an, kann man ihre Folgen besser voraussagen. Dies ist besonders in Hinblick auf die infolge des Klimawandels auch in unseren Breiten zu erwartende Zunahme von Extremereignissen sehr wichtig”, so der Wissenschaftler.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz