Alles an ihnen scheint weich zu sein – haben Regenwürmer denn nicht einmal im Maul harte Strukturen? Wie können sie die zähen Blätter fressen, die sie in den Boden ziehen – haben die prominenten Nützlinge vielleicht doch verborgene Zähnchen? Das hat uns Marion B. gefragt – vielen Dank dafür!
Die Antwort weiß Monika Joschko vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. in Müncheberg. „Zahnartige Strukturen gibt es bei Regenwürmern tatsächlich nicht“, sagt die Expertin. Dies scheint zunächst verwunderlich, denn beispielsweise haben Schnecken das Maul geradezu voller Zähne. Diese feinen Strukturen sitzen bei den Weichtieren auf der sogenannten Radula – der Raspel- oder Reibzunge – mit der sie Pflanzenmaterial zerkleinern können. „Doch Regenwürmer sind keine Weichtiere und sie brauchen im Gegensatz zu den Schnecken auch keine Zahnstrukturen zum Fressen“, sagt Joschko. Denn Regenwürmer „knabbern“ Blätter nicht, sie machen sich das Material stattdessen auf raffinierte Weise für ihr zahnloses Maul weich, erklärt die Expertin.
Es gibt nicht nur einen Regenwurm!
Zunächst betont sie, dass nicht alle Regenwürmer Blätter in den Boden zerren und verspeisen. Denn Regenwurm ist nicht gleich Regenwurm! Es gibt in Deutschland über 40 verschiedene Arten, die sich in ihrer Lebens- und Ernährungsweise deutlich unterscheiden. Viele Arten verschlucken schlicht Erdboden und entziehen ihm Nährstoffe. „Der bekannteste Wurm, der Blätter und anderes Pflanzenmaterial von der Oberfläche in den Boden zieht, ist der Tauwurm Lumbricus terrestris“, sagt Joschko. Neben seiner Tätigkeit als Blattentsorger macht er sich auch oft durch knubblige Kothäufchen an der Oberfläche bemerkbar. Er prägt das Bild, das viele Menschen von Regenwürmern haben, denn er ist ein häufiger und besonders geschätzter Nützling in Acker- und Gartenböden.
„Dass er abgestorbenes Pflanzenmaterial von der Oberfläche in den Untergrund bringt, ist dabei ein wichtiger Aspekt“, sagt Joschko. Wie die Regenwurmexpertin erklärt, braucht der Tauwurm auch für die Beschaffung dieses Futters, keine Zähne, um sich festzubeißen: Wenn er sich ein Blatt holt, ergreift er es mit einer Art Lippe seines Mundes und zieht es in seine Röhre im Boden. „Wenn es ein großes oder sperriges Blatt ist, kann er sich auch durch Unterdruck mit dem Mund daran festsaugen und es dann stärker ziehen“, sagt Joschko.
Tauwürmer mampfen „passierte“ Kost
Wenn der Regenwurm das Pflanzenmaterial schließlich in seinen Tunnel gezerrt hat, frisst er es allerdings nicht sofort – es wird erst zubereitet. „Der Wurm setzt zunächst eine Vorverdauung in Gang“, erklärt Joschko. „Dazu spuckt er ein Sekret auf das Material, das zu seiner Auflösung führt“. Außerdem beginnen Bakterien und Pilze das Pflanzengewebe zu zersetzten und zunehmend in einen kohlenhydrat- und eiweißreichen Brei zu verwandeln. Den verleibt sich der Wurm dann schließlich samt der Mikroben ein. Für die Aufnahme dieser weichen – „passierten“ – Kost sind natürlich keine Zähne nötig.
Genaugenommen besitzt der Regenwurm in seinem Körper aber dennoch etwas, das in gewisser Weise die Funktion von Mahlzähnen erfüllt, sagt Joschko: „In seinem Darm befinden sich Sandkörner, die zum Zermahlen des Nahrungsbreis beitragen“. So kann das Verdauungssystem des Wurms die Nährstoffe besser aufnehmen. Einen ähnlichen Effekt erfüllt bei uns das Kauen mit den Backenzähnen.
„Es ist faszinierend, immer wieder festzustellen, wie raffiniert diese Wesen konzipiert und ausgestattet sind“, resümiert Joschko. Wie sie betont, besaß auch einer der berühmtesten Wissenschaftler der Geschichte eine ausgesprochene Faszination für diese Tiere: Charles Darwin. Er hat sich intensiv mit Regenwürmern sowie ihrer Bedeutung für den Stoffkreislauf und die Bodenfruchtbarkeit beschäftigt und ihnen sogar ein Buch gewidmet: „Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer“. „Nach wie vor ein tolles Buch“, sagt die Regenwurmexpertin.
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