Wenn es um bedrohte Lebensräume geht, gehören Tropenwälder oder Korallenriffe zu den prominentesten. Doch auch Graslandschaften sind weltweit bedroht und ihre Degradierung schreitet rasant voran, wie nun Forscher warnen. Schon jetzt ist knapp die Hälfte der Graslandflächen geschädigt oder gestört. Dies sei nicht nur eine Bedrohung für die Artenvielfalt in diesen Habitaten, sondern auch für den Menschen, der in hohem Maße von den ökologischen Leistungen dieser Lebensräume abhängig ist.
Ob Weide, Almwiese, Steppe oder Savanne – Graslandschaften bedecken mehr als 40 Prozent der globalen Landoberfläche und machen 69 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen aus. “Grasland ist ein weltweit wichtiges Reservoir für die Biodiversität und Lebensraum für viele ikonische und endemische Arten”, erklären Richard Bardgett von der University of Manchester und seine Kollegen. “Gleichzeitig liefert Grasland auch uns Menschen eine breite Palette materieller und nichtmaterieller Vorteile.” Graslandschaften sind für die Nahrungsmittelproduktion und für die Wasserspeicherung wichtig, aber sie spielen auch eine Rolle im Klimasystem und Kohlenstoffkreislauf der Erde.
Teilweise drastische Degradierung
Trotz dieser globalen Bedeutung sind auch die Graslandschaften bedroht. Vor allem die Übernutzung durch den Menschen und seine Nutztiere sowie Änderungen der Landnutzung haben dazu geführt, dass heute im Schnitt 49 Prozent aller Graslandschaften degradiert sind. Gerade für natürliche Lebensräume dieser Art wie Steppen oder Hochlandwiesen sind die Werte allerdings noch weit höher: “Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent des Graslands auf dem Tibet-Qinghai-Plateau durch Klimawandel und menschlichen Einfluss mindestens in gewissem Maße degradiert sind”, erklären die Forscher. Die Pampa im Süden Brasiliens ist bereits zu 60 Prozent durch Landnutzungsänderungen verloren gegangen.
Auch in Europa ist vor allem das noch halbnatürliche Grasland von dieser Degradierung betroffen. Allein in Großbritannien schätzen die Wissenschaftler 90 Prozent dieser Lebensräume als degradiert ein. „Unsere wenigen verbliebenen artenreichen Graslandflächen sind durch Bauprojekte, intensive Landwirtschaft, Umweltverschmutzung und auch Aufforstungen bedroht”, erklärt Koautor Peter Manning vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. Anders als bei prominenten Systemen wie den Ozeanen, Tropenwäldern oder Fließgewässern bleibt der Niedergang des Graslands jedoch oft unbemerkt oder unbeachtet.
Vorschläge für Gegenmaßnahmen
Sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Degradierung der Grasländer aufzuhalten und ihre Renaturierung zu fördern, sieht die Zukunft dieser Ökosysteme düster aus, warnt das Forschungsteam. „Die Degradierung von Grasland stellt eine große globale Herausforderung dar, die wir bewältigen müssen, wenn wir die zentralen Ziele der Biodiversitätsagenden wie die Aichi-Ziele des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) oder die ‚Sustainable Development Goals‘ (SDGs) der Vereinten Nationen erreichen wollen”, sagt Bardgett. Er und seine Kollegen fordern, dass Graslandschaften und die von ihnen erbrachten Leistungen in der Nachhaltigkeitspolitik einen gleichen Rang wie Wälder erhalten sollten.
Das Team schlägt eine Reihe von Strategien vor, um die weltweite Zerstörung von Graslandschaften zu stoppen und ihre Wiederherstellung zu fördern. Dazu gehören die verstärkte Anerkennung von Grasland in der globalen Politik, die Entwicklung standardisierter Indikatoren für die Degradierung sowie die Nutzung wissenschaftlicher Innovationen für eine wirksame Renaturierung auf regionaler und naturräumlicher Ebene. Außerdem sei die Verbesserung des Wissenstransfers und des Datenaustauschs bezüglich der Erfahrungen mit Renaturierungsmaßnahmen wichtig. “Einfach ausgedrückt: Wenn Grasland nachhaltig bewirtschaftet werden soll, dann muss sowohl die globale, als auch die regionale Politik umdenken, um den Wert von Graslandschaften für verschiedene Ökosystemleistungen zu würdigen und Ziele für deren Schutz, Wiederherstellung und nachhaltige Bewirtschaftung festzulegen.“
Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Empfehlungen dazu beitragen werden, dass der Schutz von Grasland auf der bevorstehenden COP 15-Konferenz im Oktober eine größere Rolle spielt. „Wir wünschen uns, dass unsere Studie das Bewusstsein für die weltweite Graslandkrise und die akute Notwendigkeit von Maßnahmen zur Verhinderung der Graslanddegradierung und für eine erfolgreichere Renaturierung schärft. Nur so können die zahlreichen von Graslandschaften gebotenen Nutzleistungen für Mensch und Tier erhalten bleiben,“ resümiert Manning.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen; Fachartikel: Nature Reviews Earth & Environment, doi: 10.1038/s43017-021-00207-2