Es gibt Dinge, die gehören niemandem und allen zugleich. Zu diesen globalen Gemeinschaftsgütern, auch Global Commons genannt, zählen derzeit vor allem Teile unseres Planeten, die außerhalb nationaler Grenzen liegen, wie die Hochsee oder die Antarktis. Doch auch die Kippelemente im Klimasystem der Erde sollten als Gemeinschaftsgüter betrachtet werden, argumentieren Fachleute in einer neuen Studie. Denn unabhängig davon, in welchem Land sie liegen, bestimmen die Kipppunkte darüber, wie lebenswert unser Planet bleibt. Gemeinschaftlich die Verantwortung für das Klima und die Erde zu übernehmen, erfordere jedoch mehr Kooperation über Staaten hinweg, so die Forschenden.
Was alle Menschen brauchen, sollte auch allen gehören und von allen genutzt und geschützt werden. So lautet die anerkannte Idee der globalen Gemeinschaftsgüter. Geografische Regionen wie die Hohe See und die Tiefsee, die Antarktis, der Weltraum und die Atmosphäre werden daher von allen Staaten und Menschen gemeinsam genutzt, niemand hat das alleinige Anrecht darauf. Diese Güter zu schützen und effektiv zu verwalten, liegt im Interesse aller. Doch sind mit dieser Definition bereits alle Global Commons abgedeckt? Und wie lässt sich rechtlich besser gegen Leute vorgehen, die diese Gemeinschaftsgüter beschädigen oder ausbeuten und damit Menschen und den Planeten gefährden?
Klimawirksame Regionen sollen Gemeinschaftsgüter werden
Diese Fragen haben führende Forschende aus den Rechts-, Politik- und Erdsystemwissenschaften zwei Jahre lang diskutiert. Besonders im Blick hatten sie bei ihrer Betrachtung den Klimawandel, von dem weltweit alle Menschen betroffen sind und der über nationale Grenzen hinauswirkt.
Als Ergebnis ihrer Erörterungen schlagen sie vor, die Idee der globalen Gemeinschaftsgüter zu erweitern und auch sogenannte „planetare Gemeinschaftsgüter“ einzubeziehen. Künftig sollen demnach auch biophysikalische Systeme der Erde als Global Commons gelten, die „die Widerstandsfähigkeit und den Zustand und damit auch die Lebensqualität auf der Erde regulieren“, fordern die Wissenschaftler. Gemeint sind damit neben den bisherigen Commons aus der Geo-, Hydro-, Kryo- und Atmosphäre auch Teile der Biosphäre wie natürliche Kohlenstoffsenken und große Waldsysteme, die das Klima und seine Kipppunkte erheblich beeinflussen.
Als Beispiele für solche kritischen Kippelemente nennt die Studie bewaldeten Permafrost, tropische Regenwälder, Feuchtgebiete und Korallenriffe. Wenn diese Teile des Erdsystems ihren Kipppunkt erreichen, könnten sie dauerhaft in einen neuen Zustand mit Folgen für die gesamte Erde übergehen – beispielsweise, wenn der Amazonas-Regenwald zur Savanne wird. „Vom Amazonas-Regenwald bis zu den Eismassen Grönlands steigt die Gefahr, Veränderungen in der Funktionsweise des Erdsystems auszulösen, die unumkehrbar und unkontrollierbar sein könnten“, erklärt Erstautor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Da diese Veränderungen Menschen auf der ganzen Welt betreffen, argumentieren wir, Kippelemente als planetarische Gemeingüter zu betrachten, die der Welt anvertraut wurden und daher einer gemeinsam koordinierten Steuerung bedürfen.“
Bessere Verwaltung und Rechtsschutz für die Erde
Der Vorschlag von Rockström und seinen Kollegen ist mehr als nur eine neue Definition. Die Forschenden hoffen auf einen Paradigmenwechsel, durch den die gemeinsame Verantwortung dem wachsenden Handlungsbedarf endlich gerecht wird. Werden die Kippelemente tatsächlich wie gefordert als Global Commons anerkannt, muss die Weltgemeinschaft noch stärker zusammenarbeiten, um das Klima und seine kritischen Stellschrauben zu schützen. „Das ist eine Herausforderung auf planetarer Ebene und erfordert komplexe, gemeinsame, über nationale Grenzen hinausgehende Lösungen“, so die Forschenden. Die Staaten der Erde müssten sich dann auf eine gemeinsame und gerechte Verwaltung der Erdsysteme einigen, betont die Sozialwissenschaftlerin und Co-Autorin Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam. In welchem Land die zu schützenden Systeme, etwa Wälder, liegen, dürfte dabei keine Rolle mehr spielen.
Ziel der angestrebten globalen Kooperation soll es sein, unseren gebeutelten Planeten zu entlasten, bevor die Kippelemente überschritten werden. „Die kritischen Regulierungssysteme der Erde werden heute durch menschliche Aktivitäten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß unter Druck gesetzt“, sagt der Rechtswissenschaftler und Co-Autor Louis Kotzé von der North-West University in Südafrika. „Unser globales Umweltrecht reicht nicht aus, um diese Krise zu bewältigen und sicherzustellen, dass die planetaren Belastungsgrenzen nicht überschritten werden. Deshalb brauchen wir dringend planetare Gemeinschaftsgüter, auch als neuen Rechts-Ansatz, der die kritischen Erdsystemfunktionen wirksamer schützen kann.“
Quelle: Johan Rockström (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), doi: 10.1073/pnas.231531121