Winzige Meeresalgen bilden die Basis aller marinen Nahrungsnetze und sind eine wichtige CO2-Senke im Klimasystem. Doch wie viel von diesem Phytoplankton gibt es in den Ozeanen? Bisher wurde dies mittels Satellitenmessungen des Photosynthese-Farbstoffs Chlorophyll ermittelt. Doch dies erfasst nur das Phytoplankton an der Oberfläche. Jetzt haben gut 99.000 ergänzende Messungen mit schwebenden Messbojen erstmals einen genaueren Blick auf das Phytoplankton in größerer Tiefe ermöglicht. Diesen Messungen zufolge entspricht die Gesamt-Biomasse des im offenen Meer lebenden Phytoplanktons 314 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Rund die Hälfte davon verbirgt sich jedoch in Tiefen, die für die Satellitenmessungen nicht zugänglich sind. Auch die saisonale Verteilung der einzelligen Meeresalgen wurde durch bisherige Messdaten nur unzureichend erfasst, wie das Team berichtet.
Sie sind die wichtigsten Sauerstoffproduzenten unseres Planeten: Die mikroskopisch kleinen Meeresalgen des Phytoplanktons erzeugen gut 50 Prozent allen Sauerstoffs in der Erdatmosphäre und sind für rund die Hälfte der irdischen Nettoprimärproduktion verantwortlich. Gleichzeitig binden sie durch ihre Photosynthese enorme Mengen an CO2 und wirken damit als Puffer im Klimasystem. “Das Absinken des photosynthetisch produzierten organischen Materials in die Tiefen der Ozeane hält die atmosphärischen CO2-Konzentrationen rund 200 parts per million (ppm) niedriger als es bei einem Phytoplankton-freien Ozean der Fall wäre”, erklären Adam Stoer und Katja Fennel von der Dalhousie University im kanadischen Halifax. Umso wichtiger ist es, die Menge und Produktivität dieser winzigen Klimahelfer und ihre langfristigen Entwicklungstrends möglichst genau zu kennen. Doch das ist angesichts der enormen Größe der Weltmeere nicht einfach.
Tauchbojen blicken unter die Meeresoberfläche
Bisher beruhten Messungen der großräumigen und globalen Phytoplanktondichte meist auf den Daten von Satelliten, die anhand des absorbierten und reflektierten sichtbaren und nahinfraroten Lichts die Dichte an Chlorophyll-a im Oberflächenwasser der Meere erfassen können. “Allerdings haben diese Satellitenmessungen zwei bekannte Beschränkungen: Erstens sind sie auf die Oberflächenschicht des Wassers begrenzt und zweitens ist Chlorophyll-a kein idealer Messwert für die Phytoplankton-Biomasse”, schreiben Stoer und Fennel. Der Grund dafür: Einzellige Meeresalgen leben auch in tieferen Wasserschichten und tragen dort zur CO2-Bindung und Biomasseproduktion bei. Außerdem könne sich je nach Algenart und Wachstumsbedingungen die Menge an Chlorophyll-a in den einzelnen Phytoplanktonzellen unterscheiden, erklären die Forschenden. Daher konnten bisherige Studien die Phytoplankton-Biomasse in den Ozeanen nur schätzen: Ihre Ergebnisse variierten zwischen 250 und 2400 Millionen Tonnen Phytoplankton-Kohlenstoff.
Inzwischen gibt es jedoch eine Möglichkeit, die Dichte und Verteilung der einzelligen Meeresalgen auch unterhalb der Sehtiefe der Satellitenmessungen zu erfassen – mithilfe der sogenannten Argo-Floats. Diese sensorbestückten, autonomen Messbojen sind so programmiert, dass sie im Laufe bestimmter Zeitabstände Messungen in verschiedenen Meerestiefen bis in 6000 Meter Tiefe durchführen. In regelmäßigen Abständen tauchen sie auf und funken ihre Messdaten über Satelliten an zentrale Datenzentren. Zurzeit schwimmen in den Weltmeeren fast 4000 solcher Argo-Floats. Stoer und Fennel haben nun die Daten von 903 speziell für biogeochemische Messungen ausgelegten Argo-Bojen in Pazifik, Atlantik und Indischem Ozean ausgewertet, darunter fast 99.350 sogenannte biooptische Profile, die Auskunft über Phytoplanktondichte und -beschaffenheit geben. Stoer und Fennel ermittelten mithilfe dieser Daten die Phytoplankton-Biomasse im Wochenabstand für verschiedene Tiefen und Breitengrade und verglichen die Werte mit satellitenbasierten Chlorophyll-a-Messungen.
Wahre Verteilung der Phytoplankton-Biomasse enthüllt
Die Auswertungen ergaben eine Phytoplankton-Biomasse in den drei großen Weltmeeren von rund 314 Millionen Tonnen Phytoplankton-Kohlenstoff. Dieser Wert liegt damit eher am unteren Ende der bisherigen Spanne der Schätzungen. “Aber anders als frühere Ansätze beruht unsere Schätzung auf tiefenaufgelösten, Kohlenstoff-zentrierten Messungen aus der gesamten euphotischen Zone”, betonen Stoer und Fennel. Als euphotische Zone gilt der Tiefenbereich eines Gewässers, in dem Photosynthese möglich ist. “Unsere Messungen zufolge macht das ozeanische Phytoplankton damit nur rund 0,06 Prozent der gesamten Biomasse der irdischen Biosphäre aus. Das ist ein winziger Bruchteil, gemessen an ihrer enormen Bedeutung für die Erhaltung der marinen Ökosysteme und ihrer wichtigen Rolle für den Kohlenstoffkreislauf”, schreiben die Forschenden. Umso wichtiger sei es, die Verteilung des Phytoplanktons auch in den tieferen Ozeanschichten zu kennen. So enthüllten die neuen Messwerte, dass rund die Hälfte des gesamten Phytoplankton-Kohlenstoffs und des Chlorophyll-a unterhalb der durchmischten Oberflächenschicht der Meere zu finden ist. “Ein noch größerer Anteil liegt unterhalb der von den Satellitenmessungen erfassten Tiefe – er entspricht 85 Prozent des Phytoplankton-Kohlenstoffs und 88 Prozent des Chlorophyll-a”, berichten die Wissenschaftler.
Die Bojenmessungen ergaben zudem, dass die Satellitenmessungen des marinen Chlorophylls auch die saisonale Entwicklung der Meeresalgenblüten nicht korrekt erfasst. “Wir haben festgestellt, dass das Oberflächen-Chlorophyll-a den Zeitpunkt der jährlich höchsten Biomasse in zwei Dritteln des Ozeans nicht richtig identifiziert hat”, berichten Stoer und Fennel. So legt das Oberflächen-Chlorophyll eine besonders umfangreiche und lange Algenblüte in subtropischen Regionen nahe, mit zu den Polen hin stark abnehmenden Dauern und Intensitäten. Betrachtet man aber die gesamte Phytoplankton-Biomasse auch unter der Meeresoberfläche, zeigen deutlich geringere Unterschiede und regionale Schwankungen, wie das Team feststellte. “Die Fehleinschätzung bei den Satellitendaten hat potenzielle Auswirkungen darauf, wie man die Algenblüten mit der Produktivität und dem Überleben der höheren trophischen Ebenen wie dem Zooplankton oder Fischlarven verknüpft”, erklären die Forschenden. Auch mögliche Entkopplungen von Räuber-Beute-Zyklen durch den Klimawandel könnten demnach allein durch Satellitendaten nur schwer korrekt erfasst werden.
Nach Ansicht von Stoer und Fennel ist es daher künftig wichtig, Daten sowohl von Satelliten als auch von Argo-Floats zu berücksichtigen. “Die Kombination beider Technologien ist ein wichtiger Schritt für die Langzeit-Überwachung des irdischen Phytoplanktons”, schrieben sie. “Es wird helfen zu verstehen, wie die Meeresalgen durch den anthropogenen Klimawandel und potenzielle Geoengineering-Projekte im Meer beeinflusst werden.”
Quelle: Adam C. Stoer und Katja Fennel (University of Dalhousie, Halifax), Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2405354121