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Gewässer renaturieren – aber wie?

Weltwassertag

Gewässer renaturieren – aber wie?
Fluss
Gewässer wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen, ist eine komplexe Aufgabe. © hsvrs/ iStock

Fast alle Gewässer der Erde haben sich durch menschliche Nutzung deutlich verändert oder werden zumindest von ihr beeinflusst. Deshalb gibt es mittlerweile zahlreiche Initiativen, die sich für die Renaturierung von Mooren, Fließgewässern, Auen und Seen einsetzen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Wie die Renaturierung am besten funktionieren kann, berichten acht Gewässer-Experten anlässlich des heutigen Weltwassertages im Interview.

Ein naturnaher Wasserkreislauf, intakte Gewässer und aquatische Lebensräume sind für Mensch und Natur unverzichtbar. Doch in der Vergangenheit hat der Mensch auf vielfältige Weise in natürliche Gewässer eingegriffen und viele aquatische Ökosysteme tiefgreifend geschädigt. Um dies rückgängig zu machen, gibt es zunehmend Initiativen zur Renaturierung von Mooren, Fließgewässern und ihren Auen, Seen und anderen Stillgewässern. So hat etwa die Europäische Kommission ein Renaturierungsgesetz auf den Weg gebracht, das zu mehr frei fließenden Flüssen in Europa führen soll. Ein Aktionsprogramm des Bundesumweltministeriums will Moore wiedervernässen lassen.

Wie eine solche Renaturierung von Gewässern am besten gelingen kann, erklären acht Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin anlässlich des Weltwassertages im Interview.

Der Mensch hat seine Umwelt stark verändert. Können wir diese Veränderungen überhaupt rückgängig machen?

Tina Heger: Nein, aber darum geht es auch nicht. Eine wirklich unberührte Natur existiert eigentlich fast nirgends mehr auf der Welt. In Deutschland haben wir keine Urwälder, in Europa kaum Flüsse, die unreguliert fließen und der menschengemachte Klimawandel betrifft und verändert alle ökologischen Systeme weltweit. Wir dürfen natürliche und vom Menschen beeinflusste Umwelt deshalb nicht als absolute Gegensätze begreifen. Zwischen diesen beiden Polen kann es alle denkbaren Zustände geben. Ein Ökosystem, in das der Mensch eingreift, kann zum Beispiel genauso biologisch vielfältig sein wie ein natürliches System, es kann mitunter sogar widerstandsfähiger sein – das zeigen erfolgreiche Renaturierungen.

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Wir brauchen also neue Ansätze, um zu verstehen, dass inzwischen alles, was wir gemeinhin als „Natur“ betrachten, von Menschen bewusst oder unbewusst verändert worden ist – und dass aus diesem Fakt auch eine besondere Verantwortung erwächst. Renaturierung sollte deshalb heute nicht mehr das strenge Ziel haben, einen „ursprünglichen Zustand“ wiederherzustellen, denn das ist meist gar nicht möglich. Vielmehr sollte Renaturierung eher als ein Prozess verstanden werden, der bestimmten, festgelegten Prinzipien folgt, aber flexibel genug ist, um auf die jeweiligen Bedingungen Rücksicht nehmen zu können.

Ein Beispiel für künstlich geschaffene Gewässer, die eigentlich nur ein Nebenprodukt z.B. der Kies- oder Sandgewinnung sind, sind Baggerseen. Wie können diese ökologisch aufgewertet und ihre biologische Vielfalt gefördert werden?

Robert Arlinghaus: Tatsächlich haben wir uns mit dieser Frage in unserem Projekt BAGGERSEE intensiv beschäftigt. Viele Baggerseen werden hierzulande von Angelvereinen bewirtschaftet. Sie sind meist nährstoffarm, mit sandigen, instabilen Sedimenten und am Ufer relativ steil abfallend. Deswegen ist an vielen Baggersee der Anteil der für die biologische Vielfalt wichtigen Uferzone an der Gesamtseefläche gering. Zusammen mit Angelvereinen haben wir an ausgewählten Stellen Flachwasserzonen angelegt und Totholzbündel eingebracht, die als Unterstand und Substrat für eine Vielzahl von Organismen wirken können.

Gerade die Flachwasserzonen erhöhen den Fischreichtum und haben vielfältige positive Wirkungen auf andere Organismengruppen wie Insektenlarven und Wasserpflanzen. Eine weitere wichtige Maßnahme ist der initiale Fischbesatz in Baggerseen, der der Fischartenvielfalt zugute kommt. Nachdem sich eine Fischartengemeinschaft etabliert hat, kann aber auf Fischbesatz verzichtet werden. Dann sind vor allem Maßnahmen, die die Struktur der Uferzone aufwerten, wichtig für den Artenreichtum.

Renaturierung bedeutet nicht automatisch, Ökosysteme sich selbst zu überlassen. Herr Zak, Sie untersuchen, wie aus landwirtschaftlich genutzten Flächen wieder Moore entstehen können. Was empfehlen Sie?

Dominik Zak: Intakte beziehungsweise nicht entwässerte Moore sind Lebensräume für viele seltene oder vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten und wichtige Senken für Treibhausgase und Nährstoffe. Deshalb ist es richtig und wichtig, ehemalige Moore wiederzuvernässen. Doch das führt nicht sofort zu einem funktionierenden Moor: Durch die frühere Trockenlegung ist der Boden meist abgesackt und die oberen Torfschichten mineralisiert. Nach der Wiedervernässung bilden sich oftmals Flachseen mit einer durchschnittlichen Tiefe von bis zu einem Meter. Wir haben aber herausgefunden, dass dabei große Mengen Methan und Nährstoffe in die Umwelt gelangen können.

In solchen überstauten Moorflächen sind die Phosphor-Konzentrationen im Bodenwasser 100- bis 1000-mal höher als in naturnahen Mooren. Werden durch die Wiedervernässung viele Nährstoffe freigesetzt, können diese auch in andere angrenzende Oberflächengewässer gelangen. Aber einige dieser Gewässer zeichnen sich durch Artengemeinschaften aus, die an besonders nährstoffarme Lebensräume angepasst sind. Hier besteht dann das Risiko, dass solche Biotope überdüngt werden. In den obersten 20 bis 50 Zentimetern trockengelegter Moore liegt ein Großteil des Phosphors und anderer gewässerbelastender Stoffe in mobiler Form vor, sie können z.B. ausgewaschen werden.

In einigen Fällen ist es deshalb ökologisch sinnvoll, vor Wiedervernässungen den stark mineralisierten Oberboden abzutragen – besonders in Gebieten mit etwas stärkerer Neigung und niedrigem Grundwasserspiegel. Die Entwässerungsgräben werden dort mit einem Teil des abgetragenen Bodens aufgefüllt, sodass der Wasserspiegel von selbst wieder ansteigt. Die moortypische Vegetation kann sich bei dieser Methode binnen weniger Jahre wieder ansiedeln. Damit diese Restaurierungsmaßnahme auch funktioniert, muss der Grundwasserstand aber nahe der Mooroberfläche sein.

Eine weitere Möglichkeit ist die schrittweise Wiedervernässung. Die empfiehlt sich dort, wo sich aufgrund technischer Voraussetzungen verschiedene Staustufen einstellen lassen. Eine pauschale Empfehlung gibt es aber nicht: Parameter wie Topografie, Flächengröße, Degradation des Bodens, Abflüsse, Grundwasserspiegel oder aktuelle Bodennutzung sollten bei der Wahl der richtigen Methode berücksichtigt werden.

Herr Pusch, Sie beschäftigen sich mit Fließgewässern und deren Auen. Welche positiven Effekte haben Renaturierungen und welche Bedingungen müssen dafür erfüllt sein?

Martin Pusch: Flussauen gehören weltweit zu den Hotspots der Biodiversität, der pflanzlichen Produktivität und der biogeochemischen Nährstoffumsätze. Wir Menschen profitieren daher von ihren Ökosystemleistungen in hohem Maße. Leider sind in Deutschland etwa 80 Prozent der Flüsse und Auen erheblich umgestaltet worden – zugunsten einiger weniger Nutzungen, etwa der Schifffahrt oder der Landwirtschaft. Darunter leiden zum Beispiel die Biodiversität, die Selbstreinigungsfunktion hinsichtlich von Schadstoffen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel und gesellschaftliche Erholungsfunktionen.

Daher werden seit Beginn des 21. Jahrhunderts Hochwasserdeiche zurückverlegt, damit das Hochwasser sich wieder in größeren Auenflächen ausbreiten kann und dadurch keine katastrophale Höhe erreicht. Die auf diese Weise wiedergewonnenen Auen sind gleichzeitig wertvolle Trinkwasserspeicher und haben weitere wichtige Regulationsfunktionen, weshalb man sie auch als blau-grüne Infrastruktur bezeichnet. In zwei EU-Leuchtturmprojekten untersuchen wir, wie Fluss- und Auenrenaturierungen beschleunigt werden können – zum Beispiel, indem man lokale Akteure in die Entwicklung und Umsetzung von Renaturierungsvorhaben einbindet. Zielkonflikte zu entschärfen, indem Ökosystemleistungen bilanziert werden, oder Geschäftsmodelle zu fördern, die auf nachhaltiger und extensiver Nutzung renaturierter Flächen beruhen, gehören ebenfalls dazu.

Dennoch werden angesichts von Dürren und niedrigen Wasserständen auch heute noch künstliche Stauhaltungen und Regulierungen als Lösungen ins Spiel gebracht. Warum ist das der völlig falsche Weg?

Christian Wolter: Weil es zu Lasten der Anpassungsfähigkeit und Resilienz der Flüsse an die Folgen des Klimawandels geht. Fließgewässer unterliegen einer natürlichen Dynamik von jährlichen Hoch- und Niedrigwasserperioden. Die Begradigung und Regulierung der Fließgewässer führt zum schnelleren Wasserabfluss und Sedimenttransport. Regulierungsbauwerke und Uferdeckwerke verhindern Seitenerosion, sodass sich die Flüsse eintiefen und bei niedrigen Durchflüssen die Landschaft noch stärker entwässert wird.

Technischer Hochwasserschutz mit Deichen zielt bisher vor allem darauf ab, Hochwasserwellen möglichst schnell abzuführen, damit es nicht zu Überschwemmungen kommt. Das alles bewirkt höhere Durchflüsse zu Lasten des natürlichen Wasserrückhalts in der Landschaft und der notwendigen Grundwasserspeicherung. Somit setzen in regulierten Flüssen Phasen niedriger Wasserstände eher ein und halten länger an – mit Dürrefolgen für das gesamte Einzugsgebiet. Dieser Prozess muss aufgehalten und umgekehrt werden.

Um Flüsse fit für den Klimawandel zu machen, sollten diese künstlichen Eingriffe daher so weit wie möglich zurückgebaut oder, wo dies wirklich nicht möglich ist, ökologisch verträglicher gestaltet werden. Natürliche Prozesse zum Hochwasserschutz und zum Wasserrückhalt in der Landschaft sollten revitalisiert und Überflutungsflächen und Nebengewässer reaktiviert werden. Künstliche Stauhaltungen halten zwar lokal begrenzt Wasser zurück, fördern aber nicht die entsprechenden natürlichen Prozesse im Einzugsgebiet. Darüber hinaus begünstigen sie Verdunstung, halten Sedimente zurück, die stromab als Lebensraumstrukturen fehlen und fördern in ihrem Unterwasser, also unterhalb des Bauwerks, sogar Tiefenerosion und Landschaftsentwässerung.

Frau Wiebe, Sie beschäftigen sich mit urbanen Gewässern, die besonders vielen Belastungen und Einflussfaktoren unterliegen und meist erheblich verändert sind. Wie kann man auch an innerstädtischen, stark verbauten Gewässern eine ökologische Verbesserung erzielen?

Rosanna Wiebe: Oft wird das ökologische Potenzial an stark verbauten Gewässern unterschätzt, weil der Unterschied zum naturnahen Gewässer so groß ist. Doch auch Möglichkeiten, die nur auf kleinen Flächen umsetzbar sind, gilt es zu nutzen. Hierzu müssen die Gewässer auch in ihrer Funktion als Lebensraum für aquatische Organismen gesehen und dementsprechend aufgewertet werden – etwa indem Uferstrukturen und Vegetationsformen geschaffen werden, die an senkrecht stabilisierten Ufern, zum Beispiel durch Spundwände, verloren gegangen sind. Der Vegetationsgürtel am Rande eines Gewässers ist ein Schlüsselelement für die aquatische Lebensgemeinschaft, denn dort finden Fische, Insekten, Vögel und Säugetiere Schutz, Nahrung und Orte für die Brutaufzucht – an Spundwänden fehlt das. Zudem heizen sich die exponierten dunklen Stahlspundwände an heißen, sonnigen Tagen stark auf und geben diese Wärme an das Wasser ab.

In dem Projekt „Vertical Wetlands“ untersuchen wir, wie sich an Spundwänden mit einem System aus bepflanzten Modulen, die Elemente eines natürlichen Ufers nachbilden, eine ökologische Verbesserung herbeiführen lässt. Unser Projektpartner WITE Company entwarf hierfür ein übertragbares System bepflanzter Module , welches an einer Berliner Wasserstraße nun probeweise umgesetzt und vom IGB wissenschaftlich begleitet wird.

Ebenso oft unterschätzt werden Kleingewässer. Herr Mehner, wie können Teiche, Weiher, Tümpel und Pfuhle erhalten werden und warum ist das wichtig?

Thomas Mehner: Kleine Stillgewässer dienen dem Wasserrückhalt in der Fläche, wirken sich positiv auf das Mikroklima aus, sind wichtige Refugien und Trittsteinbiotope für gefährdete Arten und bieten insbesondere in urbanen Gebieten wichtige Erholungsräume. Sie werden oft von oberflächennahem Stauwasser, das sich über undurchlässigen, tieferen Bodenschichten bildet, oder vom Grundwasser gespeist. Beides macht sie besonders anfällig für sinkende Niederschläge und Grundwasserspiegel in der umgebenden Landschaft.

Deshalb sollten Maßnahmen ergriffen werden, die den ökologischen Wassermindestbedarf der Kleingewässer sicherstellen, etwa die großflächige Verrieselung gereinigter Abwässer, um das Wasser in der Landschaft zu halten. Außerdem liegen diese Gewässer in Landschaftssenken und sind daher „Sammelbecken“ von Stoffflüssen. In der intensiven Landwirtschaft werden die Felder teilweise bis in die unmittelbaren Uferbereiche der Gewässer ausgedehnt, es fehlen dann Pufferzonen zum Schutz vor Einträgen von Ackersedimenten, Dünger und sowie Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden. Das muss sich ändern, beispielsweise durch ausreichend dimensionierte Uferrandstreifen, die als Stoffbarriere dienen und gefährliche Einträge in die Gewässer durch Rückhalt oder chemische Transformation verringern.

Herr Geßner, Sie beschäftigen sich seit über zwei Jahrzehnten mit der Wiederansiedlung des Europäischen und Baltischen Störs in Elbe und Oder. Aus Ihrer Erfahrung: Wo liegen Hürden, wenn politisch beschlossene Wiederherstellungsziele auf die Umsetzungspraxis vor Ort treffen?

Jörn Geßner: Die Wiederansiedlung von Wanderfischpopulationen oder die Wiederherstellung von ökologisch funktionalen Habitaten konkurriert mit einer Vielzahl von Nutzungen, wie etwa der Schifffahrt, der Landwirtschaft, dem technischen Hochwasserschutz oder der Bebauung, der Wasserkraft sowie in Teilen auch der Freizeitnutzung. Dies trifft insbesondere auf die größeren Fließgewässer zu. In der Vergangenheit wurden die Ziele der Gewässerunterhaltung eindimensional durch den wirtschaftlichen Nutzen bestimmt, was zum Verlust der biologischen Vielfalt in den Flüssen und ihren Auen beigetragen hat.

Auch heute noch weist die Bewirtschaftung der Wasserstraßen durch die Schifffahrtsverwaltung des Bundes bezüglich der Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und der Einrichtung von Schutzgebieten im Rahmen der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) massive Mängel und Versäumnisse auf. Diese Politik resultiert auch aus einem Mangel an Priorisierung und Harmonisierung von unterschiedlichen Richtlinien und Strategien aus verschiedenen Politikfeldern, die mit ihren Zielen vielfach im direkten gegenseitigen Konflikt stehen. So werden dann häufig eher „weiche“ und inkonkrete Ziele in die Umweltprogramme aufgenommen, wodurch dann auch eine effektive Sanktionsmöglichkeit beim Nichterreichen dieser Ziele fehlt.

Um der Biodiversitätskrise und den Folgen des Klimawandels effektiv zu begegnen, ist es mit einer Steuerung von Nutzungen und Eingriffen allein nicht mehr getan. Hier sind dringend integrative Lösungen gefragt, die auch mit Einschränkungen – zum Beispiel der verkehrlichen Nutzung – einhergehen können und teilweise auch müssen. Will man der der Natur ausreichend Entwicklungsraum geben, die Resilienz der Ökosysteme stärken und auch die Gesellschaft davon profitieren lassen, sollten die räumliche Kopplung von Gewässern und ihren Auen sowie deren großräumige Überflutung und die Wiederherstellung wichtiger Lebensräume im Vordergrund stehen.

Quelle: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

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