Männer haben einen Blick für Autos und Frauen für kleine Tiere. Oder anders ausgedrückt: Die Fähigkeit, bekannte Objekte aus bestimmten Kategorien wiederzuerkennen, ist offenbar geschlechtsspezifisch. Das zeigen jetzt visuelle Tests von US-Forschern. Frauen schnitten demnach durchschnittlich am besten bei der Erkennung von Lebewesen ab, Spitzenreiter waren hier Vögel, während bei den Männern Fahrzeuge Favoriten waren, vor allem Autos. Die besten Auto-Erkenner beziehungsweise Vogel-Spezialistinnen waren gleichzeitig auch die erfolgreichsten Kandidaten bei Wiedererkennungstests von Gesichtern. Das überrascht, da Forscher bislang angenommen hatten, die Wahrnehmung von Gesichtern funktioniere völlig anders als die von Gegenständen oder anderen Objekten. Diese These scheint im Licht der neuen Ergebnisse jedoch fraglich, sagen Isabel Gauthier von der Vanderbilt University in Nashville und ihre Kollegen.
Die Forscher führten ihre Untersuchungen mit 75 männlichen und 82 weiblichen Probanden durch. Vor den Tests sollten sie sich mit Bildern aus acht Kategorien vertraut machen: Blätter, Eulen, Schmetterlinge, Watvögel, Pilze, Autos, Flugzeuge und Motorräder. Anschließend bekamen sie immer drei ähnliche Bilder einer Kategorie vorgelegt, von denen sie eines zuvor gesehen hatten. Sie sollten nun angeben, welches das bekannte Bild ist. Nach dem gleichen Prinzip führten die Forscher anschließend Wiedererkennungstests mit Gesichtern durch.
Die Auswertungen der Ergebnisse zeigten eine eindeutige geschlechtsspezifische Tendenz: Männer schnitten bei der Gruppe der Fahrzeuge am besten ab, die Frauen bei den Lebewesen. Beim Vergleich der Ergebnisse aus den Gesichtserkennungstests offenbarte sich zudem, dass die jeweils besten ihrer Kategorie auch die versiertesten Gesichts-Erkenner waren. Ein mögliches Ergebnis war also beispielsweise: eine der Frauen war schlecht im Wiedererkennen von Autos, dafür aber sehr gut beim Vogel-Erkennen. Dieses Talent spiegelte sich dann auch im guten Wiedererkennungsvermögen für Gesichter wider.
Vermutlich stecken hinter den geschlechtsspezifischen Wahrnehmungsfähigkeiten Grundinteressen, die sich zwischen Männern und Frauen unterscheiden, sagen die Forscher. Männer, die sich beispielsweise tendenziell häufiger für Autos interessieren, nehmen diese Objekte deshalb intensiver wahr und achten auch auf mehr Details. Dasselbe Prinzip gilt für Frauen. Viel interessanter sei jedoch der Befund, dass das Wahrnehmungstalent gegenüber Objekten durchaus mit der Gesichtswahrnehmung verbunden ist ? man muss nur die richtige Kategorie finden. In früheren Studien hatten Forscher beispielsweise versucht, die Wahrnehmungsfähigkeit von Frauen gegenüber Autos mit ihrer Gesichtserkennungskompetenz in Zusammenhang zu setzen. Das könnte der aktuellen Studie zufolge zu verzerrten Ergebnissen geführt haben.
Isabel Gauthier (Vanderbilt University in Nashville) et al.: Vision Research, doi:10.1016/j.visres.2012.07.014 © wissenschaft.de ?
Martin Vieweg