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Geheimnisvolle Eis-Unterseite kartiert

Antarktisches Schelfeis

Geheimnisvolle Eis-Unterseite kartiert
Eine komplex strukturierte Decken-Landschaft zeichnet sich an der Unterseite des Antarktischen Schelfeis ab. © Filip Stedt / University of Gothenburg

Schluchten, Plateaus und tropfenförmige Strukturen: Ein unbemanntes Tauchboot hat Einblicke in die verborgene Decken-Landschaft an der Unterseite des schwimmenden Schelfeises der Antarktis geliefert. Es handelt sich dabei um Strukturen, die auf die Schmelzprozesse durch das zirkulierende Warmwasser zurückzuführen sind, das von unten an dem Eis nagt. Die Ergebnisse können damit nun der Verbesserung von Vorhersagen der Schelfeisschmelze und des damit verbundenen Meeresspiegelanstiegs dienen, sagen die Forschenden.

Sie sind die marinen Ausläufer der gigantischen Gletscher: Die Schelfeisflächen der Antarktis entstehen durch den Abfluss des Eises von der Landfläche. Zunächst schiebt sich die Gletschermasse dabei über den Meeresgrund – doch ab einer bestimmten Entfernung wird das Eis dann vom Meerwasser unterspült. Dieser schwimmende Teil wird dann als Schelfeis bezeichnet und kann mehrere hundert Meter dick sein. Auf diese Eisflächen richtet sich seit Jahren ein besorgter Blick. Denn bei einigen Schelfeisflächen zeichnet sich eine zunehmende Ausdünnung ab, die wohl auf die komplexen Folgen des Klimawandels zurückzuführen ist. Offenbar gelangt zunehmend warmes Wasser unter das Eis und höhlt es dadurch intensiver aus. Das Problem ist dabei, dass dem Schelfeis eine wichtige Brems-Funktion gegenüber dem Abfluss des Gletschereises von der Antarktis zukommt. Ein erhöhter Zustrom ins Meer könnte folglich zu einem deutlichen Anstieg des globalen Meeresspiegels führen, so die Befürchtung.

Eisige Decken-Landschaften im Visier

Der Erforschung der Ausdünnungsprozesse des Schelfeises kommt deshalb eine besonders große Bedeutung zu. Bisher gab es allerdings nur begrenzte Einblicke auf die von den Schmelzprozessen betroffenen Unterseiten der schwimmenden Eismassen. Nun präsentiert ein internationales Forschungsteam um Anna Wåhlin von der Universität Göteborg die Ergebnisse der bisher detailliertesten Untersuchung einer der eisigen Decken-Landschaften. Die Forschenden haben im Frühjahr 2022 ein unbemanntes Tauchboot unter dem Dotson-Schelfeis in der Westantarktis ausgesetzt. Das Unterwasserfahrzeug “Ran” wurde so programmiert, dass es in den Hohlraum des 350 Meter dicken Schelfeises taucht und das Eis darüber mit Sonar abtastet.

Darstellung des Ablaufs der Erkundungsfahrt des U-Boots “Ran” unter das Dotson-Schelfeis in der Amundsen-See. © Anna Wåhlin

In 27 Tagen fuhr das U-Boot mehr als 1000 Kilometer unter dem Schelf hin und her und drang dabei 17 Kilometer weit in den Hohlraum vor. Dabei zeichnete Ran auch Daten über den Salzgehalt, die Temperatur und die Strömungen des Wassers unter dem Schelfeis auf. “Wir haben zuvor Satellitendaten und Eisbohrkerne verwendet, um zu beobachten, wie sich Schelfeise im Laufe der Zeit verändern. Indem wir das Tauchboot in den Hohlraum navigierten, konnten wir hochauflösende Karten der Eisunterseite erhalten. Es ist ein bisschen so, als würde man zum ersten Mal die Rückseite des Mondes sehen”, sagt Wåhlin.

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Wie das Team berichtet, bestätigten einige Ergebnisse zunächst grundlegende Annahmen über die Schmelzprozesse: So wurde etwa deutlich, dass das Eis besonders dort stark schwindet, wo starke Unterwasserströmungen seine Basis erodieren. Doch die Komplexität der eisigen Landschaft und einige Elemente waren überraschend. Sie ist demnach teilweise intensiv von Terrassen, tiefen Schluchten und rundlichen Formationen geprägt. „Als Anna die ersten Bilder von der Unterseite des Dotson-Schelfeises herumschickte, waren wir begeistert – so etwas hatte noch niemand zuvor gesehen und einiges verblüffte uns: Es gab Risse und Wirbel im Eis, die wir nicht erwartet hatten. Es sah eher nach Kunst aus“, sagt Senior-Autorin Karen Heywood von der University of East Anglia in Norwich.

Schmelz-Dynamiken im Spiegel von Eisstrukturen

Besonders erstaunt war das Team über den Fund von tropfenförmigen Vertiefungen von 20 bis 300 Meter Länge, die an der westlichen Basis des Schelfeises auftraten, wo die Schmelzrate am höchsten ist. Offenbar sind diese Strukturen auf kreisende Wasserbewegungen zurückzuführen. Den Forschern zufolge spiegeln sich in den Kartierungsergebnissen überraschend spezielle Dynamiken an der Unterseite des Eises wider. “Die Untersuchung hat uns neue Daten geliefert, die wir uns nun genauer ansehen müssen. Es scheint klar, dass viele bisherige Annahmen über das Abschmelzen der Gletscherunterseiten zu kurz greifen. Aktuelle Modelle können die komplexen Muster, die wir sehen, nicht erklären. Aber es besteht die Chance, die Antworten zu finden”, so Wåhlin.

Den Autoren zufolge ist das bessere Verständnis der komplexen Prozesse, die unter den Schelfeisflächen ablaufen, für Einschätzungen ihrer zukünftigen Entwicklung wichtig. “Wir brauchen bessere Modelle, um vorhersagen zu können, wie schnell das Schelfeis in Zukunft schmelzen wird“, sagt Wåhlin. Deshalb ist den Forschenden zufolge nun auch die weitere Erkundung der Unterseiten der Eismassen angesagt. Wie sie abschließend berichten, gab es dabei allerdings in diesem Jahr einen Rückschlag: Im Januar kehrte die Gruppe mit Ran zum Dotson-Schelfeis zurück, um die Untersuchungen zu wiederholen, in der Hoffnung, Veränderungen zu dokumentieren. Sie konnten jedoch nur einen Tauchgang absolvieren, dann ging das kostbare Tauchboot verloren. “Diese wissenschaftlichen Fortschritte wurden dank des einzigartigen Tauchboots Ran ermöglicht. Diese Forschung ist notwendig, um die Zukunft des antarktischen Eisschildes zu verstehen, und wir hoffen, Ran ersetzen zu können und diese wichtige Arbeit fortzusetzen”, sagt Wåhlin.

Quelle: Universität von East Anglia, Fachartikel: Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.adn9188

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