Vor 47 Millionen Jahren schwirrte sie von Blüte zu Blüte: Wissenschaftler haben in den Seesedimenten der Grube Messel die Überreste einer Fliege entdeckt, in deren Bauch sie Pollenkörner unterschiedlicher Pflanzenarten nachweisen konnten. Das erstaunlich gut erhaltene Fossil ermöglichte den Forschern damit seltene Einblicke in das damalige Ökosystem im Bereich des Fundorts sowie in die Geschichte der Rolle der Fliegen als Bestäuber.
Sie ernähren sich von Nektar und Blütenstaub – einige Insekten leisten dadurch bekanntlich vielen Pflanzenarten einen wichtigen Dienst: Sie verbreiten den Pollen und sorgen damit für die Bestäubung und Samenbildung. Die bekanntesten Bestäuber sind dabei wohl Bienen, Hummeln und Schmetterlinge. Doch auch einige Vertreter einer anderen Insektengruppe sind in unseren Ökosystemen mit der kostbaren Fracht unterwegs: „Dass auch Fliegen eine wichtige Rolle als Bestäuber spielen, bleibt oft unbeachtet“, sagt Sonja Wedmann vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Überrest eines Bestäuber-Insekts
Von der Entwicklungsgeschichte der Partnerschaft zwischen Bestäubern und Blütenpflanzen zeugen allerdings nur wenige Fossilien, denn Insekten haben sich wegen ihrer filigranen Strukturen nur selten erhalten. Eine Ausnahme bildet dabei die Grube Messel. Die speziellen Bedingungen bei der Fossilisierung in dem See, der sich dort im Zeitalter des Eozäns befand, haben zu teils erstaunlich gut erhaltenen Fossilien geführt. Neben zahlreichen Wirbeltieren wurden auch bereits einige Überreste von Insekten in den Ölschiefer-Platten entdeckt. Im aktuellen Fall ist den Forschern allerdings ein ganz besonderer Fund geglückt.
Es handelt sich um die Überreste einer Fliege, die auf ein Alter von 47,5 Millionen Jahren datiert wurde. Viele Details, wie die Adern der Flügel des elf Millimeter großen Insekts sind noch deutlich zu erkennen. Anhand der Merkmale konnten die Wissenschaftler die Fliege einer bisher unbekannten Art der auch heute noch existierenden Familie der Nemestrinidae zuordnen. „Die eigentliche Besonderheit ist aber, dass wir im Hinterleib des Insekts zahlreiche Blütenpollen entdeckt haben“, sagt Wedmann. „Unsere Untersuchungsergebnisse verdeutlichen nun, dass sich dieser Vertreter der Nemestrinidae vor rund 50 Millionen Jahren von Blütenstaub ernährte“, sagt die Wissenschaftlerin.
Einblick in das einstige Ökosystem
Offenbar hatte die Fliege vor ihrem Tod noch tüchtig geschmaust: Die Forscher konnten die Pollen-Mahlzeit in ihrem Hinterleib als dreidimensionale Aufwölbung sichtbar machen. Durch elektronenmikroskopische Untersuchungen der enthaltenen Pollenkörner gewannen sie dann auch Hinweise darauf, um welche Pflanzen es sich gehandelt hat, die das Insekt kurz vor seinem Tod besucht hat. Vergleiche der Pollenstrukturen zeigten: Es handelte sich um Pflanzen aus den Familien der Sapoten- (Sapotaceae) und Ölbaumgewächse (Oleaceae), sowie aus den Gattungen der Wasserweideriche (Decodon) und Jungfernreben (Parthenocissus). „Solche fossilen Nahrungsreste sind weltweit extrem selten. Sie geben uns Hinweise auf die Lebensweise, auf das Fressverhalten der Tiere, sowie auf die Umweltbedingungen, in welchen die Insekten damals gelebt haben“, sagt Wedmann.
Wie die Forscher erklären, deutet der Mageninhalt der neuentdeckten Fliege darauf hin, dass sie wohl nicht in den damals dichten Wäldern der Region unterwegs war, sondern eher im Uferbereich des Messelsees. Denn bei der Jungfernrebe handelt es sich um eine typische Pflanze des Waldrands und auch der Pollen des Wasserweiderichs weist auf die Uferzone hin. „Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Fliege weite Flüge zwischen den Nahrungsquellen vermied und Pollen von nahe zusammenstehenden Pflanzen aufsuchte“, sagt Fridgeir Grímsson von der Universität Wien. „Wir gehen davon aus, dass diese Insekten eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Pollen verschiedener Pflanzentaxa spielten. Fliegen waren in den alten (sub-)tropischen Ökosystemen wichtige Bestäuber und stellten möglicherweise sogar die Bienen in ihrer Rolle in den Schatten“, so der Forscher.
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, Universität Wien, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.02.025