Dank modernster Technologien gelingt es Wissenschaftlern heute immer häufiger, das Erbgut von längst ausgestorbenen Tieren zu entschlüsseln. Jetzt ist einem Team dabei ein neuer Durchbruch gelungen: Sie haben erstmals auch die Chromosomen eines vor 52.000 Jahren gestorbenen Wollhaarmammuts geborgen und ausgelesen. Möglich wurde dies, weil dieses Tier direkt nach seinem Tod in Sibirien quasi gefriergetrocknet wurde und im Permafrost eingefroren blieb. Dadurch “verglaste” seine DNA und selbst die großräumige Anordnung der DNA in seinen Zellen blieb erhalten. Diese verriet unter anderem, dass die Mammuts 28 Chromosomen besaßen – ähnlich wie die heutigen Elefanten. Sogar die charakteristischen Schleifen der gerade aktiven DNA-Bereiche konnte die Forschenden rekonstruieren und so Informationen über die Genaktivität in den Hautzellen des Mammuts gewinnen.
Schon länger ist bekannt, dass unter günstigen Bedingungen auch das Erbgut eines toten Menschen oder Tieres über Jahrhunderte bis Jahrtausende erhalten bleiben kann. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Überreste im arktischen Permafrost oder in dicht abgeschlossenem, feinkörnigem Material vor der Zersetzung geschützt geblieben sind. Aus Knochen, Zähne oder Hautresten können Forschende dann DNA-Fragmente extrahieren, die mithilfe spezieller Analysegeräte und Computerprogramme sequenziert und in der richtigen Abfolge zusammengesetzt werden. Das ermöglicht es beispielsweise, evolutionäre Veränderungen des Erbguts oder Mutationen bei heute ausgestorbenen Arten festzustellen. Was diese kurzen, meist nur wenige hundert Basenpaare langen DNA-Fragmente jedoch nicht verraten können, ist die übergeordnete Struktur des Genoms, beispielsweise wie die DNA auf Chromosomen aufgeteilt ist und welche Abschnitte gerade entpackt waren, damit sie abgelesen werden konnten. Diese Informationen lassen sich nur gewinnen, wenn auch die Chromosomenstruktur bei einem Fossil erhalten geblieben ist – und es eine Methode gibt, mit der sich diese Struktur auslesen lässt.
Verglastes Erbmaterial
Genau dies ist nun einem Team um Marcela Sandoval-Velasco von der Universität Kopenhagen erstmals gelungen. Fünf Jahre lang hatten sie verschiedenste Fossilien genetisch untersucht, bis sie tatsächlich ein Exemplar mit noch erhaltener Chromosomenstruktur fanden. Es handelt sich dabei um ein Wollhaarmammut, das rund 52.000 Jahre lang im sibirischen Permafrost eingefroren war. Von dem 2018 entdeckten Fossil sind selbst feine Gewebe und Strukturen wie die Haut und das Fell erhalten geblieben. “Wir vermuten, dass es kurz nach seinem Tod gewissermaßen gefriergetrocknet wurde”, sagt Co-Autorin Olga Dudchenko vom Baylor College of Medicine in Houston.
Damit bot dieses Mammut günstige Voraussetzungen für die Rekonstruktion auch der Chromosomenstrukturen. “Die Zellkern-Architektur in einer solchen dehydrierten Probe kann unglaublich lange Zeit überdauern”, erklärt Dudchenko. Möglich wird, dies, weil das Genmaterial unter diesen Bedingungen “verglasen” kann. Dabei erstarrt das Material und bildet eine amorphe, aber stabile Struktur. “Das Chromatin-Glas ähnelt dem Glas in unseren Fenstern: Es ist fest, aber kein geordneter Kristall”, erklärt Seniorautor Erez Lieberman Aiden vom Baylor College.
Um die Struktur der uralten Mammut-DNA zu entschlüsseln, entnahm das Team eine Hautprobe aus dem Ohr des Tieres und unterzog die Zellen dann einer sogenannten Hi-C-Analyse. Diese zeigt, welche DNA-Abschnitte im Zellkern nahe beieinander liegen und daher wahrscheinlich zum selben Chromosom gehören. Die Analyse gelang und enthüllte erstmals die Chromosomenstruktur eines ausgestorbenen Tieres: “Was wir hier gefunden haben, ist eine Probe, in der die dreidimensionalen Anordnung dieser DNA-Fragmente zehntausende von Jahren an Ort und Stelle festgefroren waren”, sagt Sandoval-Velasco. “Dadurch blieb die Struktur der Chromosomen erhalten.” Als erstes versuchten die Forschenden dann, die genaue Zahl der Mammutchromosomen zu ermitteln – mit Erfolg: “Wir haben herausgefunden, dass die Wollhaarmammuts 28 Chromosomen besaßen, was absolut einleuchtend ist, weil auch moderne Elefanten 28 Chromosomen haben und sie die nächsten lebenden Verwandten der Mammuts sind”, sagt Co-Autor Juan Antonio Rodríguez von der Universität Kopenhagen.
Sogar Anzeiger der Genaktivität blieben erhalten
Damit ist es dem Team erstmals gelungen, die Chromosomen eines ausgestorbenen Tieres zu zählen und zu rekonstruieren. “Fossile Chromosomen sind ein echter Game-Changer, denn dies ermöglicht Einblicke, die zuvor nicht möglich gewesen sind”, sagt Dudchenko. So ergaben die Analysen beispielsweise, dass sich die Aufteilung des Genoms auf die einzelnen Chromosomen in den letzten 52.000 Jahren der Rüsseltier-Evolution kaum verändert hat: Gegenüber heutigen Elefanten gab es kaum Umlagerungen größerer DNA-Abschnitte, wie das Team ermittelte. Weitere Analysen enthüllten, dass in den Mammutchromosomen sogar feinste Strukturen wie die bis zu 50 Nanometer kleinen Chromatinschleifen erhalten geblieben sind. “Diese DNA-Schleifen sind wichtig, weil sie aktivierende Steuersequenzen in die Nähe ihrer Zielgene bringen”, erklärt Co-Autor Marc Marti-Renom vom Nationalen Zentrum für Genomanalsen in Barcelona. Damit verraten diese Schleifen auch, welche Gene beim Mammut gerade aktiv abgelesen wurden.
Den Forschenden gelang es durch diese und weitere Strukturmerkmale erstmals, die Genaktivität in der Haut des fossilen Wollhaarmammuts zu rekonstruieren. “Zum ersten Mal haben wir hier Mammutgewebe, von dem wir nun wissen, welche Gene darin angeschaltet waren und welche nicht”, sagt Marti-Renom. “Das ist auch das erste Mal überhaupt, dass wir die zellspezifische Genaktivität in einer alten DNA-Probe bestimmen können.” Den Analysen zufolge ähnelte das Muster der aktiven Gene in der Mammuthaut am stärksten dem bei heutigen Asiatischen Elefanten –mit einigen entscheidenden Unterschieden: “Es zeigte sich, dass das Aktivitätsmuster von Schlüsselgenen für die Entwicklung von Haarfollikeln völlig anders aussah als bei Elefanten”, berichtet der Forscher. Das erklärt, warum die Mammuts einen dichten Pelz trugen, die heutigen Elefanten aber nackt sind.
Nach Ansicht des Teams eröffnen dieser Fund und die bei ihm erfolgreich eingesetzten Methoden neue Möglichkeiten, Mammuts und andere ausgestorbene Tiere zu erforschen. Selbst die Chromosomenstruktur ägyptischer Mumien und anderer gut erhaltener menschlicher Überreste könnte so möglicherweise entschlüsselt werden. Denn einmal dehydriert, bleibt das verglaste Erbmaterial selbst bei Raumtemperatur stabil, wie Sandoval-Velasco und ihre Kollegen in ergänzenden Tests mit Beef-Jerky feststellten. “Erstaunlicherweise widerstand die Chromatinstruktur in einem Jahr altem dehydrierten Rindfleisch vielen Störeffekten wie dem Überfahren mit einem Auto, dem Eintauchen in Säure und selbst dem Beschuss mit einer Schrotflinte”, berichten sie.
Quelle: Marcela Sandoval-Velasco (Universität Kopenhagen) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2024.06.002