Allerdings: Obwohl der Ansteckungseffekt häufig als “automatische Imitation” bezeichnet wird, sei eigentlich völlig offen, ob der Vorgang tatsächlich automatisch ist oder ob er willentlich vom Imitator herbeigeführt wird, erläutert Studienleiter Richard Cook vom University College in London. Er und seine Kollegen beschlossen daher, einen Versuch zu entwerfen, mit dem genau das geprüft werden sollte. Der Trick: Die Wissenschaftler schafften ein Spielszenario, in dem die Imitation bestraft wurde. Wäre sie absichtlich und bewusst, müsste die Strafe dazu führen, dass die Spieler das Kopieren unterlassen – läuft sie tatsächlich automatisch ab, müsste sie dagegen nach wie vor zu beobachten sein.
Für den Test wurden 45 Freiwillige in Dreiergruppen aufgeteilt, von denen jede dreimal drei Partien à 20 Runden Schnick-Schnack-Schnuck spielen sollte. In jeder Partie spielten zwei der drei Gruppenmitglieder gegeneinander, während der dritte als Schiedsrichter fungierte. In den ersten beiden Partien hatte jeweils ein Spieler die Augen verbunden und der andere konnte sehen, in der dritten Partie bekamen beide eine Augenbinde. Derjenige, der die meisten Runden gewann, bekam am Ende ein Preisgeld. Ein Unentschieden war demnach ebenso wenig lukrativ wie zu verlieren, lediglich das Gewinnen zahlte sich aus. Im Prinzip war es also völlig unsinnig, den anderen zu imitieren.
Trotzdem passierte genau das – allerdings nur dann, wenn einer der beiden Spieler sehen konnte: In diesem Fällen gingen 36,3 Prozent der Spiele und damit mehr, als laut Statistik zu erwarten wäre, unentschieden aus. Offenbar hatte der sehende Spieler hier übermäßig häufig die gleiche Geste gewählt wie der blinde, wahrscheinlich, weil er ihn imitiert hatte, schließen die Forscher. Waren dagegen beide Teilnehmer mit einer Augenbinde versehen, waren genau 33,3 Prozent der Spiele unentschieden – exakt der Anteil also, der bei einer zufälligen Verteilung herauskommen sollte. Auch einige Aufnahmen mit einer Videokamera bestätigten die Imitationsthese: In knapp der Hälfte der Runden führte der Spieler mit der Augenbinde seine Geste zuerst aus, und in etwas mehr als 17 Prozent der Runden betrug dieser zeitliche Vorsprung mehr als 200 Millisekunden. Damit war er groß genug, um eine Kopie zu ermöglichen, sagen die Wissenschaftler.
Am häufigsten wurde dabei übrigens die Schere kopiert, gefolgt vom Stein. Beim Papier ließ sich hingegen kein Imitationseffekt messen. Das könnte daran liegen, dass gerade die Schere eine sehr charakteristische Handhaltung verlange, die leicht und sehr schnell zu erkennen ist. Die Geste “Stein” gehe zudem häufig mit einem Vorschnellen der Hand einher, einem Merkmal, das ebenfalls sehr ins Auge sticht. Die ganze Geschichte läuft dabei extrem schnell ab: Die Wahrnehmung der Geste und die Aktivierung des entsprechenden Bewegungsprogramm benötigen zusammen nicht einmal eine Sekunde, erläutern die Forscher.
Zusammenfassend könne man sagen, dass es sich bei dem Effekt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit um eine automatische Nachahmung handelt und nicht um eine bewusst gesteuerte Bewegung. Etwas Ähnliches finde sich beispielsweise bei frischgebackenen Eltern, die beim Anschauen ihres Neugeborenen fast instinktiv dessen Gesichtsausdruck imitieren. Eine solche Reaktion kann sogar innerhalb von 30 Millisekunden und damit noch schneller ablaufen als die Gestenkopie im Experiment. Die Ergebnisse zeigten zudem, dass direkte physische Interaktionen, etwa zwischen Geschäftspartnern, das Verhalten stärker beeinflussen als bisher angenommen – und dass Phänomen wie die hier gezeigte automatische Imitation von Bewegungen durchaus einen Einfluss darauf haben können, wie eine solche Begegnung und damit auch ein Geschäftsabschluss ablaufen können.