Ungewöhnlich ist das Genomprojekt nicht nur wegen seiner Dimensionen – über drei Milliarden Dollar wurden dafür angesetzt -, sondern auch wegen seiner Koordination und Begleitforschung. Weltweit sprechen sich Wissenschaftler ab, wer welche Aufgaben übernimmt. Deutschland hat zum Beispiel Teile der Chromosomen 7, 11 und 21 sowie des Geschlechtschromosoms X übernommen. So wird Doppelarbeit verhindert, die in der modernen Biologie sonst oft geschieht, weil die Experten sich nicht gerne in die Karten schauen lassen.
Ungewöhnlich ist auch die Begleitforschung. Fünf Prozent der Gelder gehen in Projekte, die sich mit den moralischen Fragen und gesellschaftlichen Konsequenzen der Entschlüsselung des Genoms beschäftigen. Diese Projekte werden nicht nur von staatlichen Unternehmen, sondern auch von der Industrie gesponsert.
Eines der wichtigsten Prinzipien der öffentlich geförderten Genomprojekte ist die Pflicht, alle Ergebnisse offenzulegen. Wer aus dem Ressourcen-Center von Prof. Annemaria Poustka in Heidelberg Genmaterial bekommt, muß dafür keinen Pfennig bezahlen. Er darf mit den Ergebnissen, die er damit erlangt, allerdings auch kein Geld verdienen oder sie in einer Schublade verschwinden lassen, um sich Patentrechte oder andere Vorteile zu sichern. Er muß seine Resultate in die gemeinsame Datenbank einbringen, um anderen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, damit weiterzuarbeiten. Dieses Prinzip war in Deutschland nicht immer selbstverständlich. 1997 kam es sogar zu einem internationalen Streit. Auslöser war eine Forderung des Vereins zur Förderung der Humangenomforschung, in dem sich die großen deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen zusammengeschlossen haben. Mit dem Förderverein unterstützen sie die deutsche Genomforschung an Instituten und Universitäten. Dafür wollten sie eine Gegenleistung: Alle mit ihrer Unterstützung gewonnenen Ergebnisse sollten sechs Monate unter Verschluß bleiben, damit die Patentabteilungen der Unternehmen sie auf ihre kommerzielle Verwertbarkeit prüfen können. Erst nach internationalen Protesten der anderen Partner lenkten die Unternehmen ein.
Celera, das mit den Gendaten Geld verdienen möchte, arbeitet natürlich vollkommen anders: Die Firma verkauft die Ergebnisse ihrer Entschlüsselungsarbeit an Interessenten, behält aber die Rechte an den Daten für eine kommerzielle Verwertung. Bereits in den ersten fünf Wochen ihrer Sequenzierarbeit hat die Gesellschaft nach eigenen Angaben etwa 6500 vorläufige Patentanträge ausgefüllt.
Für Francis Collins, den internationalen Direktor der Human Genome Organization (HUGO), der Gemeinschaft der Staatsforscher, ist das eine komplett andere Ideologie. Das Wissen über menschliche Gene muß Allgemeingut sein, bleibt das Motto der öffentlich geförderten Gruppen. Die Konsequenz: In den USA und Großbritannien fallen die Arbeitsgruppen vom Dauerlauf- ins Sprinttempo. Tag und Nacht laufen dort die Sequenzier-Maschinen auf vollen Touren. Schon bis zum kommenden Mai will HUGO eine sogenannte “Arbeitsfassung” der menschlichen Erbinformation vorlegen.
Während in Großbritannien und den USA immer mehr Geld für die Sequenzierung zur Verfügung steht, sieht es in Deutschland völlig anders aus: das Bundesministerium für Bildung und Forschung kürzte die Mittel. “Wir haben jetzt nur noch 40 Millionen Mark pro Jahr”, klagt Dr. Johannes Maurer, Leiter der Geschäftsstelle des Koordinierungskomitees. “Damit haben wir insgesamt weniger zur Verfügung als die amerikanischen Kollegen allein als Steigerung bekommen haben.”
Prof. Hans Lehrach aus Berlin, einer der Direktoren des deutschen Genomprojektes, sieht im erzwungenen Verzicht der hiesigen Forscher auf den Endspurt sogar die Gefahr, daß für die künftige Arbeit wichtige Erfahrungen im Umgang mit der notwendigen Technik fehlen: “Das automatisierte Sequenzieren ist ja nur der Anfang. Wenn wir verstehen wollen, wie Hunderte von Genen zusammenarbeiten, dann müssen wir auch die Entschlüsselung ihrer Funktion automatisieren.”
Für Lehrach wiederholen sich in der Genomforschung die Fehler, die vor 30 Jahren in Deutschland mit der fehlenden Mikrochip-Forschung gemacht wurden: “So wie wir heute Chips und Computer im Ausland kaufen, so werden wir wohl auch unsere Gendaten für die Krebsforschung in Zukunft wahrscheinlich bei großen Forschungskonzernen teuer erwerben müssen.”