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Elektrostatischer Sinn für Feinde

Biophysik

Elektrostatischer Sinn für Feinde
Wenn sie sich bedroht fühlen, rollen sich die Raupen vieler Schmetterlingsarten zusammen. © Sam England

Ein Alarmsystem der besonderen Art: Manche Raupen können die elektrostatische Ladung von nahenden Wespen spüren und dadurch schnell Schutzmaßnahmen ergreifen, geht aus einer experimentellen Studie hervor. Die Wahrnehmung beruht dabei auf der Reaktion der Haare der Schmetterlings-Larven, die offenbar gezielt auf die typischen elektrostatischen Signale der Raubinsekten eingestellt sind. Dieses bei Insekten möglicherweise weitverbreitete Erkennungssystem könnte durch den menschengemachten Elektrosmog beeinträchtigt werden, sagen die Forscher.

Die Wirkung von elektrostatischen Ladungen ist besonders von dem Trick mit dem Luftballon bekannt: Reibt man das Kunststoffobjekt auf Textilien, baut sich eine Ladung auf, die Haare anziehen kann, wenn man den Luftballon an den Kopf hält. Zu diesem Effekt kommt es auch natürlicherweise in der Umwelt: Durch verschiedene mechanische Prozesse werden viele Objekte elektrostatisch aufgeladen – so auch Tiere und Pflanzen. Es gibt bereits Hinweise darauf, dass die Erkennung solcher Ladungsmuster eine erhebliche biologische Bedeutung besitzen könnte. So wurde etwa schon gezeigt, dass sich Fluginsekten bei der Nahrungssuche an elektrischen Feldern von Blüten orientieren können.

Räuber-Beute-Verhältnisse im Visier

Diese Ergebnisse bildeten nun die Grundlage der Studie von Sam England und Daniel Robert von der University of Bristol. „Wir wussten, dass viele Insekten auf natürliche Weise statische Elektrizität auf ihren Körpern ansammeln, wenn sie sich in ihrer Umgebung bewegen, und dass diese Ladungen Objekte beeinflussen können. Deshalb fragten wir uns, ob auch ein typisches Beutetier – wie eine Raupe – seine Fressfeinde anhand des von ihnen ausgehenden elektrischen Feldes erkennen könnte“, sagt England.

Um dieser Frage nachzugehen, führten die beiden Forscher Untersuchungen an Raupen von drei europäischen Schmetterlingsarten durch. Als deren Modell-Fressfeind wählten sie die gewöhnliche Wespe aus. Zunächst erfassten England und Robert durch sensorische Messungen die elektrischen Ladungen, die diese Raubinsekten typischerweise im Flug aufbauen. Anschließend gaben sie diese Ladungswerte in Rechenmodelle ein, um vorherzusagen, wie stark das elektrische Feld sein würde, wenn sich eine Wespe einer Raupe auf einer Pflanze nähert. Das entsprechende Spannungsfeld – inklusive der Oszillationen beim Flügelschlag – erzeugten die Forscher dann im Labor künstlich und vermittelten es den Versuchs-Raupen durch Elektroden.

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Härchen erfassen das Bedrohungssignal

Wie das Team berichtet, führte das Einschalten des Wespen-typischen Feldes bei den Raupen aller drei Schmetterlingsarten zu Verhaltensweisen, die sie üblicherweise auch bei Bedrohungen zeigen: Sie rollen sich zusammen oder werfen den Kopf hin und her, um sich zu verteidigen. Anschließend gingen die beiden Forscher dem Mechanismus der elektrostatischen Wahrnehmungsfähigkeit der Raupen auf den Grund. „Wir wussten, dass die Haare von Insekten durch das elektrische Feld, das von statisch geladenen Objekten ausgeht, bewegt werden können, so wie ein aufgeladener Luftballon die Haare auf dem Kopf bewegen kann“, sagt England. Deshalb nahmen sie die Reaktionen der Härchen ihrer Versuchstiere mittels einer Lasermethode genau ins Visier.

Dabei zeigte sich nicht nur die Bewegung dieser winzigen Gebilde unter dem Einfluss des Wespen-typischen Spannungsfeldes. Die Härchen besitzen auch eine elektromechanische Resonanz, die genau zu der Flügelschlagfrequenz der fliegenden Raubinsekten passt, geht aus den Untersuchungsergebnissen hervor. Die Forschenden sehen darin einen Hinweis darauf, dass die Merkmale dieser Gebilde gezielt auf die Wahrnehmung der elektrostatischen – Felder der fliegenden Raubinsekten ausgerichtet sind.

„Bei diesen Ergebnissen handelt es sich nun um den ersten Beleg dafür, dass landlebende Tiere Fressfeinde anhand der statischen Elektrizität erkennen, die von ihnen ausgeht“, betont England. Ihm zufolge ist zu vermuten, dass dieses Konzept bei Insekten weit verbreitet ist. „Dies deutet aber auch auf eine bisher unbemerkte Art und Weise hin, in der sich der Mensch negativ auf die Tierwelt auswirken könnte”, sagt der Wissenschaftler. Denn es erscheint denkbar, dass elektrische Felder, die von Stromleitungen oder elektronischen Geräten ausgehen, diese Lebewesen irritieren oder stressen. „Ich halte es deshalb nun für sinnvoll, genauer zu untersuchen, inwieweit wir Lebewesen durch diese Form der Verschmutzung tatsächlich beeinträchtigen“, so England.

Quelle: University of Bristol, Faschartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2322674121

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