Die Beifuß-Ambrosie macht in Europa besonders vielen Heuschnupfen-Geplagten zu schaffen, denn die Pollen dieser eingeschleppten Pflanzenart sind aggressive Allergieauslöser. Doch ein Helfer aus der Natur könnte vielleicht Abhilfe gegen die sich immer weiter ausbreitende Pflanze schaffen: Eine Studie zeigt, dass ein 2013 aus Asien nach Europa eingeschleppter Käfer mit Vorliebe an Beifuß-Ambrosien frisst. In Norditalien hat dies schon jetzt die Pollenbelastung und die Verbreitung der Pflanze drastisch reduziert, wie die Forscher berichten. Zumindest für Südosteuropa und den Voralpenraum könnte dies in Zukunft ebenfalls gelten.
Sie wächst an Straßenrändern, in Gärten und selbst auf Schutthalden: Die Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) ist ein anspruchsloses und widerstandsfähiges Kraut, das sich in Europa immer weiter ausbreitet. Nachdem die Pflanze im 19. Jahrhundert aus Nordamerika eingeschleppt wurde, etablierte sie sich zunächst vor allem in Südosteuropa, weil sie milde Winter zum Überdauern brauchte. Inzwischen jedoch hat sich die Beifuß-Ambrosie durch eine Mutation selbst an frostige Temperaturen angepasst und tritt nun immer häufiger auch in Mittel- und Nordeuropa auf. “Die Pflanze gilt inzwischen in mehr als 320 Ländern als invasive Art und man geht davon aus, dass sich ihre Verbreitung und Wirkung durch den Klimawandel noch verstärken werden”, erklären Urs Schaffner vom CABI-Forschungszentrum in der Schweiz.
Verantwortlich 23 Millionen Allergiefälle in Europa
Das Problem daran: Ambrosia artemisiifolia produziert einen besonders allergieträchtigen Pollen. Schon wenige Pollenkörner in der Luft reichen aus, um Heuschnupfen, Asthma und andere Allergiesymptome bei entsprechend sensiblen Personen auszulösen. Wie hoch die Belastung in Europa durch diesen Allergie-Auslöser ist, haben Schaffner und sein Team im Rahmen ihrer Studie untersucht. Dafür nutzten sie Daten des europäischen Pollen-Überwachungsprogramms für 256 Standorte in der Europäischen Union und werteten Allergiedaten aus den verschiedenen Ländern aus. “Wir haben ermittelt, dass aktuell rund 23,2 Millionen Menschen in Europa allergisch auf die Beifuß-Pollen reagieren”, berichten die Forscher. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass nicht alle Personen mit positiver Reaktion auf dieses Allergen auch in Kontakt mit den Beifuß-Pollen kommen. So finden sich beispielsweise die höchsten Pollendichten und die meisten Allergiefälle in der Poebene, im Karpatenbecken und im Rhone-Tal, wie Schaffner und sein Team ermittelten.
Nachdem Schaffner und sein Team die Verbreitung der Pflanze und ihres Pollens berücksichtigt hatten, kamen sie auf 13,5 Millionen Menschen in Europa, die tatsächlich unter einer Allergie gegen die invasive Beifuß-Ambrosie leiden. Für die europäischen Gesundheitssysteme verursacht diese invasive Pflanze damit beträchtliche Kosten, wie sie berichten. Ausgehend von mittleren Behandlungskosten von 565 Euro pro Jahr und Patienten, ermittelten die Forscher europaweite Kosten von rund 7,4 Milliarden Euro pro Jahr. Das sei deutlich mehr als in früheren Studien geschätzt, sagen sie. Hinzu kommt, dass die Zahl der Betroffenen weiter steigen könnte, weil die Beifuß-Ambrosie von der globalen Erwärmung profitiert und zudem bei höheren Temperaturen noch mehr Pollen pro Pflanze produziert als ohnehin schon. Studien gehen deshalb davon aus, dass sich die Belastung mit Beifuß-Pollen bis zum Jahr 2050 um mindestens das Vierfache erhöhen könnte.
Käferfraß stoppt Pollenproduktion und Ausbreitung
Doch es könnte etwas geben, das diesem Trend Einhalt gebietet, wie nun Schaffner und sein Team berichten. Denn im Jahr 2013 kam es zur versehentlichen Einschleppung eines weiteren nicht-heimischen Organismus – diesmal eines Käfers. Der Blattkäfer Ophraella communa stammt aus Asien und wird in China bereits aktiv gegen die Beifuß-Ambrosie gezüchtet und eingesetzt. In Europa ist dieser Käfer bisher vor allem in Norditalien verbreitet – und dort lassen sich schon erste Effekte erkennen: “Dort werden bis zu 100 Prozent der Beifuß-Ambrosien von den Käfern angegriffen und dies in einem Ausmaß, das ausreicht, um ihre Blüte vollständig zu verhindern”, berichten die Forscher. “Das Pollen-Monitoring in der Gegend von Mailand hat enthüllt, dass es seit der Etablierung von Ophraella communa einen substanziellen Abfall der Beifuß-Pollendichte in der Luft gibt, die nicht durch meteorologische Faktoren erklärt werden kann.”
Um diesen Effekt zu überprüfen, führten Schaffner und seine Kollegen ein Feldexperiment durch, in dem sie gezielt die Fraßschäden durch den Käferbefall bei Ambrosia artemisiifolia untersuchten. Das Ergebnis: “Wir haben festgestellt, dass Ophraella communa die Pollenproduktion der Pflanzen im Schnitt um 82 Prozent verringerte”, berichten sie. Ergänzende Versuche ergaben, dass dieser Käfer andere, heimische Pflanzen dagegen weitgehend verschont. Nach Ansicht der Forscher könnte sich Ophraella communa daher als möglicher biologischer Helfer gegen die Beifuß-Ambrosie eignen. Um herauszufinden, in welchen Regionen Europas sich der neu eingeschleppte Käfer künftig etablieren und halten könnte, führten die Wissenschaftler Feldversuche durch, bei denen sie die Käfer in verschiedenen Höhenlagen hielten, Zusätzlich nutzten sie ein Computermodell, um auf Basis der Klimaanforderungen dieses Käfers seine mögliche Verbreitung in Europa zu ermitteln.
Die Modellsimulation ergab, dass sich Ophraella communa vor allem in Südosteuropa, im nördlichen Alpenvorraum und im Süden Frankreichs ausbreiten könnten – ziemlich genau in den Gebieten, in denen auch die Beifuß-Ambrosie bislang am stärksten vertreten ist. Für die Allergiebelastung durch Ambrosia-Pollen bedeutet dies: “Wenn Ophraella communa seine gesamte Umweltnische in Europa kolonisiert hat, könnte dies die Zahl der Menschen, die unter einer Beifuß-Pollen-Allergie leiden auf 11,2 Millionen verringern”, so Schaffner und seine Kollegen. “Das entspricht einer Verringerung um 2,3 Millionen Patienten und könnte zu einer Kostenreduktion von 1,1 Milliarden Euro jährlich führen.” Behalten die Forscher Recht, dann können Allergiker in Deutschland allerdings nur zum Teil aufatmen: Zwar scheint sich der Käfer in Bayern und Baden-Württemberg halten zu können, nicht aber weiter nördlich.
Quelle: Urs Schaffner (CABI, Delémont) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-020-15586-1