Sogar in Großstädten kann man sich gelegentlich am Anblick eines Eichhörnchens erfreuen. Doch diese Sichtungen täuschen darüber hinweg, wie problematisch das Stadtleben für Eichhörnchen sein kann, berichten Forscher. Ihre Studie mit Beteiligungen von Bürgerwissenschaftlern verdeutlicht am Beispiel Berlins, dass die urbanen Lebensräume der Eichhörnchen oft kritisch klein und zerstückelt sind. Die Informationen können dem Ziel nutzen, die Bestände dieser symbolträchtigen Botschafter der Wildtiere vor Beeinträchtigungen durch die Stadtentwicklung zu schützen, sagen die Forscher.
Offensichtlich kommen die possierlichen Nager grundsätzlich mit dem bisschen Natur zurecht, das einige Großstädte wie Berlin zu bieten haben: Im Gegensatz zu vielen anderen Tierarten scheint das rote Eurasische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) ausgesprochen anpassungsfähig zu sein. „Dies kann allerdings zu der Fehlannahme verleiten, dass sie in der Großstadt sehr gute Lebensraumbedingungen vorfinden und dass wir recht viel über ihre Lebensweise und Gesundheit wissen“, sagt Sinah Drenske vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. „Viel vermeintliches Wissen über ihre Bewegungsmuster, ihre Nahrung oder ihren Gesundheitszustand ist aber tatsächlich nur anekdotisches Wissen“, betont die Forscherin. Durch ihre Forschungsarbeiten wollen sie und ihre Kollegen deshalb nun für fundierte Informationen über die tierischen Stadtbewohner sorgen.
Unterstützung durch Bürgerwissenschaftler
Die aktuelle Studie basiert dabei auf zwei Grundlagen: Die Wissenschaftler greifen auf Daten aus Citizen-Science-Projekten zurück, in denen Berliner Bürger Eichhörnchen-Sichtungen melden. Zudem lieferten an bestimmten Orten aufgestellte Wildtierkameras Informationen über das Vorkommen der Tiere. „Diese Daten weisen unterschiedliche Qualität und Grade an Strukturiertheit auf: Beispielsweise waren die Wildtierkameras mittels eines zwei-mal-zwei-Kilometer-Rasters in Berlin gleichmäßig verteilt, während die Sichtungen zufällig dort und dann erfolgten, wo die Menschen die Tiere eben gesehen haben“, erklärt Erstautor Marius Grabow.
Die Forscher kombinierte die Sichtungsdaten für ihre Studie mit Informationen zum Lebensumfeld vor Ort: Sie entwickelten mathematische Computermodelle, die das Vorkommen von Eichhörnchen anhand von Umweltvariablen bestmöglich vorhersagten. Zu diesen Faktoren zählten etwa der Abstand zur nächsten Grünfläche, zur nächsten Straße, Baumbestand und -alter, Temperaturwerte und der Versiegelungsgrad der urbanen Strukturen. „Unser Ziel war es, räumliche Modelle so zu verbessern, dass wir anhand vorhandener Umweltdaten möglichst genaue Vorhersagen zum tatsächlichen Vorkommen der Tiere treffen können“, sagt Grabow.
„Inseln“ in der Metropole
Wie das Team berichtet, belegen ihre Ergebnisse: Die Verteilung der Lebensräume der Eichhörnchen Berlins gleicht einem Flickenteppich. Es wird deutlich, dass die Großstadt für die Nagetiere ein herausforderndes Pflaster ist und geeignete Lebensräume klein und fragmentiert sind. Diese Inseln sind häufig in kritischer Weise isoliert und offenbar stellen unter anderem Straßen oft große Herausforderungen für die Tiere dar. Es zeichnet sich auch ab, wie eine Verdichtung des Gebäudebestands in der Stadt die Konnektivität der fragmentierten Habitate weiter verschlechtert und die einzelnen Populationen näher an den Rand eines „Existenzminimums“ bringt. Auch die zunehmende Bildung von Hitzeinseln in Städten durch den Klimawandel könnte die Tier zunehmend belasten, sagen die Forscher.
Das Team identifizierte mit den Modellen zudem kritische Hotspots in Berlin, wo die Verbindungen von Lebensraum-Inseln besonders wichtig sind. Unter anderem fiel beispielsweise ein wichtiger und langer Korridor für die Eichhörnchen der Stadt auf, der durch mehrere Grünanlagen an der Spree gebildet wird. „Dieser Gürtel hat das Potenzial, Stadtteile in Ost und West zu verbinden und ist lediglich durch einzelne, massive bauliche Barrieren unterbrochen“, so Grabow. Die Studie konnte somit Bereiche identifizieren, in denen Korridore zur Verbindung fragmentierter Lebensräume geschützt oder geschaffen werden könnten.
Die Forscher wollen die Eichhörnchen Berlins nun sogar noch genauer ins Visier nehmen: In den kommenden Jahren ist geplant, Tiere körperlich zu untersuchen sowie mit Chips und Sendern auszurüsten. Dadurch will das Team Einblicke in die genetische Struktur, den Gesundheitszustand und das Bewegungsverhalten gewinnen. „Bevor es zu einem Populationsrückgang kommt, wollen wir das Wissen generieren, das helfen kann, die Eichhörnchen-Bestände in der Stadt langfristig zu sichern“, sagt Drenske abschließend.
Quelle: Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Fachartikel: Front. Ecol. Evol., doi:10.3389/fevo.2022.881247