“Das Down-Syndrom ist weltweit die häufigste Ursache für geistige Behinderungen”, erklären Jeanne Lawrence von der University of Massachusetts Medical School in Worcester und ihre Kollegen. In Deutschland wird etwa eines von 500 Kindern mit diesem Erbgutfehler geboren, das Risiko steigt mit zunehmendem Alter der Mutter. Ursache ist ein überzähliges Chromosom: Statt wie normal zwei Exemplare des 21. Chromosoms tragen Down-Patienten ein drittes zusätzliches in ihren Zellen. Deshalb wird das Syndrom auch als Trisomie 21 bezeichnet. Die körperlichen und geistigen Anomalien entstehen, weil während der Entwicklung des Kindes, aber auch später noch, bestimmte Gene in Überzahl vorhanden sind und dadurch die normalen Prozesse aus dem Gleichgewicht geraten und gestört werden.
Inspiriert vom weiblichen X-Chromosom
Bisher kann dieser Erbgutfehler weder ausglichen noch rückgängig gemacht werden. “Die Korrektur der Genaktivität über ein ganzes überschüssiges Chromosom lag bisher weit außerhalb unserer Möglichkeiten”, sagt Lawrence. Doch es gibt in der Natur einen Mechanismus, der genau dies bereits seit Jahrmillionen tut: Jede Frau trägt als 23. Paar zwei X-Chromosomen in ihren Zellen – und eines davon ist abgeschaltet. Dafür sorgt ein spezielles RNA-Molekül, XIST genannt, das sich an dieses Chromosom anlagert und das Ablesen aller weiteren Gene blockiert. Lawrence und ihre Kollegen fragten sich nun: Was, wenn das XIST-Molekül auch andere Chromosomen lahm legen kann – und im speziellen das überzählige bei Down-Patienten?
Um das zu untersuchen, testeten die Forscher zunächst, ob sich das relativ große Gen für das XIST-Molekül überhaupt in das Erbgut einer Zelle einschleusen lässt. Tatsächlich gelang dies mit Hilfe eines speziellen Enzyms. Für den nächsten Schritt entnahmen die Wissenschaftler einem männlichen Down-Patienten eine Zellprobe und erzeugten daraus induzierte Stammzellen – Zellen, die sich zu ganz unterschiedlichen Gewebetypen entwickeln können. Wie die Ausgangszellen auch, trugen diese jeweils ein überzähliges 21. Chromosom. In diesen Zellen schleusten die Forscher nun das XIST-Gen ein und aktivierten es durch einen chemischen Stoff. Wie sich zeigte, hatten 98,5 Prozent der insgesamt 245 Zellkolonien das XIST-Gen in einem der drei 21. Chromosomen eingebaut.
Genaktivität wieder wie normal
Der spannende Moment aber kam nach fünf Tagen. Denn dann zeigte sich, ob die vom XIST-Gen produzierte RNA auch genauso wirkte wie am weiblichen X-Chromosom. Tatsächlich stellten die Forscher fest, dass das überschüssige Chromosom sich nach und nach veränderte: Immer mehr Anlagerungen am Erbgut tauchten auf, die das Ablesen von Genen blockierten. Gleichzeitig begann die DNA sich immer weiter zusammenzuziehen, wie Lawrence und ihre Kollegen berichten. Ein solcher Effekt ist auch beim stillgelegten X-Chromosom zu beobachten: Es wird zu einem kompakten Klumpen am Zellrand zusammengeschrumpft, dem sogenannten Barr-Körper. Ein solcher Barr-Körper wurde nun auch aus dem überzähligen Chromosom 21 in den Zellen des Down-Patienten. “Mit dieser Methode haben wir die übermäßige Genexpression bei der Trisomie 21 auf nahezu normale Maße korrigiert”, konstatieren die Forscher. Die behandelten Zellen zeigten die gleiche Genaktivität wie die aus einem gesunden Spender erzeugten Kontrollzellen.
Dieser Durchbruch habe gleich auf dreifache Weise Bedeutung für Forschung und Medizin, sagt Lawrence. Zum einen liefert es wichtige Informationen darüber, wie das Stilllegen von Chromosomen funktioniert. Zum anderen lässt sich mit dieser Methode besser als bisher erforschen, welche Gene bei der Trisomie 21 für welche Behinderungen verantwortlich sind und wie sehr ihre übermäßige Aktivität in die normalen Zellprozesse eingreift. Und schließlich als Drittes: “Unsere Arbeit eröffnet Wege zu einer Chromosomen-Therapie für Down-Patienten”, sagt Lawrence. Das gelungene Experiment habe gezeigt, dass der erste Schritt dahin, die Korrektur des Erbgut-Defekts in lebenden Zellen, keine unüberwindbare Hürde mehr sei. Zwar wird es noch lange dauern, bis daraus eine anwendbare Therapie entwickelt und getestet werden kann. Die Forscher sehen darin aber eine echte Chance für die Millionen Betroffenen weltweit.