Viele Dinosaurier der Kreidezeit lebten in Gruppen und bildeten beispielsweise Nest-Kolonien oder zogen als Herde durch die Gegend. Doch wann die ersten Dinosaurier begannen, soziale Gemeinschaften zu bilden, war bislang unklar. Jetzt haben Paläontologen in Patagonien die Fossilien der ältesten bisher bekannten Dinosaurier-Herde entdeckt – sie sind bereits 193 Millionen Jahre alt. Unter den Funden sind Nester mit Eiern und Embryos, eine Gruppe halbwüchsiger Jungtiere sowie Paare von ausgewachsenen Vertretern des pflanzenfressenden Dinosauriers Mussaurus patagonicus. Die altersspezifische Gruppierung dieser rund 80 Tiere spreche für einen komplexen, lebenslang haltenden Sozialverband, sagen die Forscher.
Von den großen, pflanzenfressenden Langhalssauriern des späten Jura und der Kreidezeit ist schon länger bekannt, dass sie häufig in Herden vorkamen. Belege dafür liefern Fossilien ganzer Gruppen solcher Sauropoden, die gemeinsam bei einer urzeitlichen Katastrophe starben – beispielsweise einer Flut oder Schlammlawine. Weitere Funde zeugen davon, dass einige Vorgänger der Sauropoden, die im frühen Jura lebenden Sauropodomorpha, zumindest schon gemeinsam brüteten: Ähnlich wie manche moderne Vögel legten sie schon vor rund 190 Millionen Jahren Nestkolonien an. Unklar blieb allerdings, ob diese Dinosaurier nur zur Jungenaufzucht zusammenkamen oder ob sie auch den Rest ihres Lebens in sozialen Verbänden verbrachten.
Eier, Jungtiere und Adulte an einem Ort
Eine Fossilien-Fundstätte in Patagonien liefert nun erstmals den Beleg dafür, dass zumindest einige Sauropodomorpha echte Herden bildeten. Bereits in den 1970er Jahren hatten Paläontologen an der Südspitze Argentiniens erste Fossilien des pflanzenfressenden Mussaurus patagonicus in den aufeinanderfolgenden Gesteinsschichten der Laguna-Formation an dieser Fundstätte entdeckt. Bei neuen Ausgrabungen ab 2013 haben nun Diego Pol vom Paläontologischen Museum Egidio Feruglio in Argentinien und sein Team weitere Vertreter dieser Spezies aus allen Altersstufen gefunden. Neben Nestern mit insgesamt rund 100 Eiern und darin in Röntgenanalysen erkennbaren Embryos waren Jungtiere verschiedener Größen sowie adulte Exemplare vertreten. Datierungen mithilfe von Zirkonkristallen in der Fundschicht ergaben, dass diese Dinosaurier vor 193 Millionen Jahren gestorben waren.
“Eine so gut erhaltene Fundstätte kann viele Informationen dazu liefern, wie diese frühen Dinosaurier lebten”, erklärt Pol. Tatsächlich zeigte sich, dass die fossilen Mussaurus-Relikte nicht zufällig durcheinandergewürfelt lagen, wie an manchen anderen Fossilfundstätten der Fall. Stattdessen gab es eine deutliche räumliche Gruppierung der verschiedenen Altersklassen. An einer Stelle dieses ehemaligen Seeufers lagen die Nester mit den Eiern. Rund 50 Meter davon entfernt stießen die Paläontologen auf eine Gruppe von elf Jungtieren. “Diese Jungtiere waren offenbar Mitglieder eines Jahrgangs und starben gemeinsam, kurz bevor sie ihr erstes Lebensjahr erreichten”, berichtet das Team. Weiter außen in den Randbereichen der Fundstätte lagen die Fossilien von adulten Dinosauriern dieser Art, die einzeln oder paarweise unterwegs gewesen waren.
Erfolgsgeheimnis der Langhalssaurier?
Nach Ansicht von Pol und seinem Team ist diese Gruppierung ein starkes Indiz dafür, dass diese Dinosaurier nicht nur gemeinsam brüteten, sondern auch einen stabilen, alle Altersgruppen umfassenden Sozialverband bildeten. “Die Jungen bildeten mit ihren Eltern keine Kleinfamilie. Stattdessen gab es eine größere Gemeinschaft, in der die Erwachsenen sich die Aufgaben teilten und alle Jungen gemeinsam aufzogen”, erklärt Co-Autor Jahandar Ramezani vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. Die Funde der Nester in drei aufeinanderfolgenden Schichten deuten darauf hin, dass die Mossaurus-Herde mehrfach an diesen Ort zurückkehrte, um eine neue Generation von Jungtieren aufzuziehen. Die halbwüchsigen Mussaurus-Jungtiere sammelten sich währenddessen in eigenen kleinen Gruppen, die aber ebenfalls in der Herde blieben.
(Video: CONICET)
“Unsere Funde sind der älteste Beleg für eine strukturierte, nach Altersgruppen differenzierte Herdenbildung bei Dinosauriern”, konstatieren Pol und seine Kollegen. Diese Belege seien mehr als 40 Millionen Jahre älter als vergleichbare Zeugnisse aus dem späten Jura und der Kreidezeit. Schon vor 193 Millionen Jahren bildeten die Vorläufer der pflanzenfressenden Sauropoden demnach komplexe soziale Gemeinschaften. “Das weckt die Frage, ob dieses Leben in der Herde womöglich auch eine entscheidende Rolle für den Erfolg dieser frühen Dinosaurier spielte”, ergänzt Ramezani. Denn die Sauropodomorpha hatten sich schon in der späten Trias stark ausgebreitet und nach und nach fast alle anderen pflanzenfressenden Saurier aus ihren Lebensräumen verdrängt.
“In vielen terrestrischen Ökosystemen waren sie damals die zahlreichsten Landwirbeltiere”, erklären die Paläontologen. Anders als andere großen Pflanzenfresser dieser Zeit überstanden die Sauropodomorpha sogar das Massenaussterben am Ende der Trias vor 200 Millionen Jahren unbeschadet und bildeten so die Basis für die Entwicklung der Langhalssaurier. Nach Ansicht von Pol und seinen Kollegen könnten die hochentwickelten sozialen Fähigkeiten von Mossaurus und wahrscheinlich auch anderen Dinosauriern dieser Gruppe einer der Gründe für diesen Erfolg gewesen sein. “Mossaurus gehörte zur ersten erfolgreichen Familie pflanzenfressender Dinosaurier. Wir postulieren daher, dass der Schutz der Jungen in der Herde und das soziale Wesen dieser langhalsigen Pflanzenfresser mit ein Grund war, warum sie auf allen Kontinenten so häufig waren”, sagt Pol.
Quelle: Diego Pol (Museo Paleontológico Egidio Feruglio, ARgentinien) et al., Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-021-99176-1