Dinosaurier aus der Gruppe der Theropoden entwickelten im Laufe ihrer Evolution immer stabilere Kiefer, zeigt eine Studie. Fleisch- und Pflanzenfresser nutzten demnach dabei unterschiedliche Strategien, die jeweils ihrer Ernährungsform angepasst waren: Bei Pflanzenfressern bog sich der Unterkiefer nach unten, bei Fleischfressern nach oben. Beide Formveränderungen erhöhten die mechanische Stabilität beim Beißen. Die evolutionäre Entwicklung spiegelt sich den Forschern zufolge auch in der Individualentwicklung junger Theropoden.
Die Gruppe der Theropoden-Dinosaurier ist für zweibeinig laufende Fleischfresser wie den Tyrannosaurus und den Velociraptor bekannt. Doch während ursprünglich alle Vertreter der Gruppe Fleisch fraßen, entwickelten sich einige im Laufe der Evolution zu Pflanzen- oder Allesfressern. Auf diese Weise konnten sie neue ökologische Nischen besetzen und ihre Artenvielfalt wuchs. Bedeutende Hinweise auf ihre Ernährung gibt die Form ihres Gebisses, insbesondere des Unterkiefers. Die genauen Veränderungen im Laufe der Evolution waren bislang allerdings unzureichend erforscht.
Theropoden-Kiefer im Computermodell
Ein Team um Waisum Ma von der University of Birmingham hat nun mit Hilfe von Computersimulationen untersucht, wie sich die Kiefer verschiedener fleisch- und pflanzenfressender Theropoden im Laufe der Evolution entwickelt haben und wie sie sich an die jeweilige Ernährungsform angepasst haben. Dazu erstellten sie digitale Modelle der Unterkiefer von 43 verschiedenen Theropoden-Arten, und analysierten anhand von biomechanischen Computersimulationen, welcher mechanische Stress jeweils auf den Kiefer wirkte, wenn der Dinosaurier zubiss.
„Theropoda-Dinosaurier haben während ihrer 165 Millionen Jahre dauernden Evolutionsgeschichte extreme Veränderungen in ihrer Ernährungsweise durchgemacht“, erklärt Ma. „Sie begannen als Fleischfresser und entwickelten sich später zu spezialisierten Fleischfressern, Allesfressern und Pflanzenfressern. Zu untersuchen, wie sich ihre Ernährungsweise verändert hat, ist der Schlüssel zum Verständnis der Ernährungsumstellung auch bei anderen Wirbeltieren.“
Gebogener Kiefer reduziert mechanische Belastung
Die Analysen zeigten: Sowohl bei Fleischfressern als auch bei Pflanzenfressern hatten später entstandene Arten kräftigere Kiefer als ihre Vorfahren. Insbesondere der hintere Teil des Kiefers wurde im Laufe der Evolution dicker. Bei Pflanzenfressern wölbte sich der Kiefer zudem nach unten, was die mechanische Stabilität zusätzlich erhöhte und so die hohen Belastungen ausglich, die bei Abreißen von Pflanzenteilen entstehen. „Diese Veränderungen ermöglichten es den pflanzenfressenden Theropoden, Pflanzenmaterialien zu nutzen, die für frühere, nicht an den Verzehr von Pflanzen angepasste Theropoden nicht verfügbar waren“, erklären die Forscher.
Für Fleischfresser dagegen genügt es nicht, wenn sie kräftig zubeißen können. Damit ihnen die Beute nicht entkommt, müssen sie zusätzlich schnell sein. „Ein nach unten gerichteter Unterkiefer wäre womöglich nicht günstig, um die Beute zu packen und festzuhalten“, schreiben die Forscher. Obwohl das nach unten gerichtete Gebiss die beste mechanische Entlastung bietet, entwickelten die fleischfressenden Dinosaurier daher eine andere Anpassung: „Im Vergleich zu den frühesten fleischfressenden Theropoden entwickelten spätere Tyrannosauroiden und ihre Verwandten ein nach oben gerichtetes Gebiss mit einem gewellten Kauflächenrand, der dem von modernen Raubtieren wie Krokodilen ähnelt“, berichten Ma und seine Kollegen. Die nach oben gebogene Form der späten Fleischfresser ist zwar weniger stabil als die nach unten gebogene der Pflanzenfresser, bietet aber im Vergleich zu den eher länglich-schmalen Unterkiefern ihrer Vorfahren dennoch mechanische Vorteile.
Unterschiedliche Strategien für mehr Stabilität
„Es ist faszinierend zu sehen, wie die theropoden Dinosaurier je nach Ernährungsweise unterschiedliche Strategien zur Erhöhung der Kieferstabilität entwickelt haben. Dies wurde durch Knochenumbau erreicht – ein Mechanismus, bei dem Knochen in den Bereichen des Kiefers abgelagert wird, die bei der Nahrungsaufnahme hohen Belastungen ausgesetzt sind“, sagt Mas Kollege Stephan Lautenschlager.
Anhand der Kiefer junger Theropoden stellten die Forscher außerdem fest, dass sich die Kiefer auch im Laufe der Individualentwicklung verstärken. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Unterkiefer von Tyrannosaurus und Tarbosaurus im Laufe ihrer Entwicklung vom Jungtier zum Erwachsenen widerstandsfähiger gegen durch Biss verursachten Stress werden“, berichten sie. „Die Ähnlichkeit der Kieferverstärkung im Laufe des Wachstums und im Laufe der Zeit lässt vermuten, dass die Entwicklungsmuster der jugendlichen Dinosaurier letztlich die Evolution der gesamten Gruppe beeinflusst haben“, sagt Lautenschlager. „Dies hat wahrscheinlich die Kieferentwicklung der Theropoden-Dinosaurier und ihren Gesamterfolg über 150 Millionen Jahre hinweg begünstigt.“
Quelle: Waisum Ma (University of Birmingham) et al., Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.11.060