In der Regel begnügen sich Pflanzen mit dem Nährstoffangebot des Bodens. Doch etwa 600 Arten aus 18 Gattungen reicht das nicht: Die sogenannten Carnivoren verschaffen sich Zusatznahrung durch die Jagd auf Insekten. Dadurch haben sie Wachstumsvorteile an Standorten, wo der Boden nur wenig Nährstoffe bietet. Um sich die lebendigen Düngetabletten einzuverleiben, haben die rabiaten Gewächse unterschiedliche Strategien entwickelt: Manche kleben, einige stellen Fallgruben auf und die berühmteste aller Carnivoren schnappt: Die Venusfliegenfalle ( Dionaea muscipula) hat ihre Blattspitzen zu fangeisenartigen Fallen umgewandelt.
Pflanzenmäuler im Forscherblick
Im Innern der Fallen locken rotgefärbte Drüsen Insekten durch verführerische Düfte ins Verderben. Krabbeln sie auf der Suche nach Nektar in die Falle, kommen sie mit den drei Sinneshaaren in Berührung, die auf jeder Fallenhälfte lauern. Dies löst den Klappmechanismus der Venusfliegenfalle aus: Sie schnappt zu, schließt die Beute ein und beginnt sie anschließend durch Verdauungssäfte aufzulösen, um die Nährstoffe aufzunehmen. Soweit bekannt. Doch die Forscher um Rainer Hedrich von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg wollten noch mehr Details über das faszinierende Verfahren herausfinden. Sie reizten dazu einzelne Sinneshaare gezielt und untersuchten die Reaktionen der Pflanze genau.
Es zeigte sich: Die Venusfliegenfalle entscheidet anhand der Zahl der Berührungen, ob die Falle zuschnappt und ob die Verdauungssäfte fließen – sie kann also zählen. Konkret: Wird ein Sinneshaar nur leicht bewegt, meldet es den ersten Beutekontakt über ein bio-elektrisches Signal. „Ein einzelnes Signal löst aber noch keine Reaktion aus – es könnte sich ja um einen Fehlalarm handeln”, erklärt Hedrich. Erst bei der zweiten Berührung klappt die Falle blitzschnell zu.
Bei Zwei schnappt sie, ab Fünf verdaut sie
Doch auch dann könnte es sich noch um einen Fehlalarm handeln, den die Pflanze ausschließen muss, bevor sie ihren aufwendigen Verdauungsprozess in Gang setzt. Erst wenn ein Beutetier nach dem Zuklappen zappelt und dadurch weitere Signale verursacht, geht es deshalb weiter im Programm. Ohne weitere Reize öffnet sich die Falle hingegen nach einem halben Tag wieder, berichten die Forscher. Sitzt tatsächlich ein Insekt in der Fall, löst es rund 60 Signale pro Stunde aus. Bereits ab fünf aktiviert die Pflanze in der Falle in ihren 37.000 Drüsen die Ausschüttung der Verdauungsenzyme. Dieser Prozess wird von dem Pflanzenhormon Jasmonat gesteuert, zeigten weitere Versuche: Die Reaktion bleibt aus, wenn vor der mechanischen Stimulierung der Jasmonat-Signalweg künstlich unterdrückt wird. „Damit haben wir belegt, dass das elektrische Signal in den Drüsen in ein hormonelles Signal umgewandelt wird”, so Hedrich.
Berechnete Vedauungsleistung
Die Signale eines zappelnden Insekts kurbeln auch Transportmechanismen an, die für die Aufnahme der Nährstoffe aus den verdauten Insekten sorgen. Besonders auffällig war dabei ein Ionenkanal, der Natrium transportiert. Dieses Nährsalz fällt beim Verdauen der Insekten in großen Mengen an. In diesem Zusammenhang hat die Pflanze offenbar rechnerische Fähigkeiten, berichten die Forscher: „Wir haben uns gefragt, ob die Falle berechnen kann, wie viele Kanäle sie für den Abtransport von Natrium bereitstellen muss”, so Hedrich. Offenbar kann sie das: Je üppiger ein Beutetier ist, umso heftiger ist die Gegenwehr und umso häufiger werden die Sinneshaare gereizt. Die Venusfliegenfalle öffnet dann entsprechend mehr Ionenkanäle als bei einer bescheidenen Zappelei.
Ein Gedächtnis hat die Pflanze sogar auch, berichten die Forscher: Die Venusfliegenfalle merkt sich die Zahl der Berührungen an ihren Sinneshaaren wenigsten vier Stunden lang, zeigten die Experimente. Wie diese Merkfähigkeit funktioniert, wollen Hedrich und seinen Kollegen nun weiter ergründen. Sie wird also auch weiterhin im Forscherblick bleiben – die Königin der fleischfressenden Pflanzen.