Wie können wir eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig ernähren? Und welche Rolle werden Fleisch, Biolandwirtschaft und Gentechnik dabei spielen? Das haben wir zwei gefragt, die diese Themenfelder schon lange beackern: Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung und Urs Niggli, Experte für Biolandwirtschaft.
natur: Herr Niggli, wir erreichen Sie in einer Schule. Bis kurz vor unserer Videokonferenz haben Sie dort einen Vortrag zum Nachhaltigkeitsproblem der Welternährung gehalten – das trifft sich gut. Verraten Sie uns doch, in einem Satz: Was ist die Lösung?
Niggli: Wir müssen zu einer suffizienten Ernährungskultur kommen, also unseren Lebensmittelkonsum mäßigen und uns bewusster ernähren. Die Frage, wo wir etwas ändern können in Ernährung und Landwirtschaft, hat auch die Schüler elektrisiert. Sie haben viele Vorschläge gemacht, etwa stärker mit staatlichen Vorschriften zu arbeiten, mit Werbeverboten für Fleisch, aber auch mit Verführung – also zum Beispiel mit einer kreativen veganen Küche.
Schon heute ist die Landwirtschaft nicht nachhaltig – und die Weltbevölkerung wird weiter wachsen. Frau Unmüßig, was wäre aus Ihrer Sicht als Allererstes zu tun?
Unmüßig: Vor allem die globalen Mittel- und Oberschichten ernähren sich übermäßig mit Fleisch, Milchprodukten und Eiern. Die Stellschraube Nummer eins ist, die Fleischproduktion massiv zu reduzieren. Denn wir nutzen 40 Prozent der weltweiten Ackerflächen für Futtermittel. Die zweite Stellschraube ist die Eindämmung der Verschwendung. Mehr als ein Drittel aller Ernten geht verloren, auf den Äckern, beim Transport oder wir schmeißen Nahrungsmittel zuhause in den Müll. Wenn wir diese Fehlentwicklungen stoppen, dann müssen wir nicht – wie oft behauptet – Agrarflächen ausweiten und die Produktivität massiv erhöhen. Wir könnten übrigens heute schon zehn Milliarden ernähren, wenn Nahrung gerechter verteilt wäre.
Allerdings wollen viele Menschen Fleisch essen, das ist Genuss, oft auch Statussymbol. Wollen Sie ihnen das verbieten?
Unmüßig: Es geht definitiv um weniger, nicht um ein Verbot. Da bin ich ganz bei Herrn Niggli: Es geht auch um Suffizienz. Der Umbau unserer Agrar- und Ernährungssysteme muss zudem demokratisch geschehen. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, wie groß der ökologische Fußabdruck unseres Ernährungsstils ist, über Kampagnen, über Appelle. Falls Aufklärung allein nicht mehr weiterhilft, müssen wir eben auch regulieren.
Fleischkonsum und Verschwendung reduzieren – Herr Niggli, was halten Sie von diesen Stellschrauben?
Niggli: Ich bin da vollständig einverstanden. Das Problem ist aber, dass global gesehen die Tier- und damit auch die Sojaproduktion bislang weiter massiv ansteigt. Das Szenario, das Frau Unmüßig eben schön beschrieben hat, das ist auch mein Plan A: dass wir alle gute, vernünftige Menschen sind und unser Ernährungsverhalten ändern. Aber ich habe auch einen Plan B entwickelt – und mich für den Fall, dass wir eben nicht vernunftbegabte Wesen sind, dass wir auf Bedrohung zu spät reagieren, einem breiteren Innovationsspektrum geöffnet. Nicht nur gegenüber sozialen, ökologischen und institutionellen Innovationen – die in jedem Fall notwendig sind –, sondern auch gegenüber technologischen Innovationen. Wir kommen wohl nicht umhin, uns auch der besten Lösungen aus der Molekularbiologie, der Digitalisierung und der Nanotechnologie zu bedienen.
Beim Biolandbau, Ihrem großen Forschungsthema, hat man oft das Gefühl, dass er nicht sehr offen ist für Innovation.
Niggli: Der Biolandbau ruht sich – zu Recht, vermute ich – auf seinen Innovationen des 20. Jahrhunderts aus. Das 19. und 20. Jahrhundert waren von Erdöl, Bergbau und Chemie geprägt. Die Biobauern sind dann mit einer revolutionären Idee gekommen: einer biologischen Innovation. Sie wollten chemischen Input durch betriebsinterne Prozesse ersetzen, etwa über Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität. Eine enorme Leistung! Aber selbst wenn die EU mit ihren Plänen Erfolg hat und wir 25 Prozent Biolandbau haben werden, bleibt viel übrig. Ich suche Lösungen für diese 75 Prozent. Da braucht es viel technologische Innovation.
Unmüßig: Bio-Anbau ist ein zentrales Element einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Weil er dem konventionellen Anbau darin überlegen ist, die Böden zu schützen und Biodiversität zu erhalten. Aber natürlich müssen wir auch die konventionelle Landwirtschaft ökologisieren, zum Beispiel mit radikal weniger Pestizid- und Kunstdüngereinsatz. Dazu braucht es Anreize. Es ist fatal, dass die letzte Reform der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU nicht stärker die Weichen für diese so notwendige Ökologisierung gestellt hat.
Sie fordern aber nicht, dass die konventionelle Landwirtschaft zur Biolandwirtschaft wird.
Unmüßig: Nein, Bio sollte als besonderes Qualitätsmerkmal erhalten bleiben. Hier gelten hohe nachprüfbare Standards wie der Verzicht auf Gentechnik und synthetische Pestizide und Düngemittel. Was wir auch dringend brauchen: Wertvolle Ökosysteme wie Wälder, Savannen und Moore dürfen nicht mehr unter den Pflug! Ich glaube, die konventionellen Landwirte wären sogar froh um einen Rahmen, der sie nicht immer wie die großen Zerstörer aussehen lässt. Denn in erster Linie sind sie ja Erschaffer: von Leben und Lebensmitteln.
Wir sehen viel Übereinstimmung bei Ihnen beiden – vor allem bei Plan A. Was Plan B angeht: Da würden Sie, Herr Niggli, inzwischen auch die Gentechnik nicht mehr ausschließen, richtig?
Niggli: Vorweg, um nicht missinterpretiert zu werden: Ich befürworte nicht den Einsatz der Gentechnik im Biolandbau. Der Biolandbau funktioniert sehr gut nach eigenen Gesetzen. Allerdings habe ich nach 30 Jahren Forschung in diesem Bereich einfach gesehen, dass wir an ein Optimum kommen. Dass wir vor allem die Erträge nicht mehr weiter steigern können. In den letzten Jahren habe ich vor allem die Globalernährung angeschaut. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass die neuartige „Genschere“ Crispr/Cas ein sehr gutes Züchtungsinstrument ist – und als dieses ein Teil der Problemlösung sein kann …
… der aber seinerseits ganz neue Probleme aufwerfen könnte.
Niggli: Ich bin überzeugt, dass die Genschere mit sehr geringen Veränderungen riesige Effekte erzielen kann. Genau die, die man sucht – sei es eine Krankheits- oder eine Insektenresistenz oder auch eine gegenüber Wasser- oder Trockenstress. Und solch eine resistentere Pflanze kann man auch in ein sehr nachhaltiges Anbausystem hineinstellen. Ich sehe nicht ein, dass wir hier aus ideologischen Gründen sagen: Das will ich mir gar nicht anschauen. Schauen wir’s uns doch einfach an!
Unmüßig: Da melde ich Widerspruch an, Herr Niggli. Ja, wir sind mitten in einem massiven Klimawandel und deshalb brauchen wir Pflanzen, die dürretolerant sind oder länger im Wasser stehen können. Wir wissen aber nicht, wann wir was brauchen. Das Unvorhersehbare und die Extreme zeichnen doch gerade die Klimakatastrophe aus. Natürlich brauchen wir Innovationen in der Züchtung – die müssen aber gerade mit diesen Risiken umgehen können. Das sehe ich bei Crispr/Cas nicht. Und wir sollten das lokale Wissen der Bauern und Bäuerinnen einbinden, auch das der indigenen. Da können wir viel darüber lernen, wie man mit Klimaänderungen, mit Trockenheit, mit Wetterextremen umgeht. Warum glauben Sie denn, dass Crispr/Cas bessere Antworten liefert als die Züchtungsmethoden klassischer Art?
Niggli: Wir kommen beim Biolandbau einfach nicht heraus aus dieser Ertragslücke von 20 bis 25 Prozent gegenüber konventionellem Ackerbau. Im Gegensatz zu Ihnen, Frau Unmüßig, habe ich 30 Jahre Bioforschung gemacht und auch eine große Züchtergruppe aufgebaut – wir konnten diese Lücke nicht schließen! Und für die konventionellen Bauern hätte ich lieber eine gute Züchtung als noch mehr Pestizide und Stickstoffdünger.
Frau Unmüßig, könnte die Genschere – unter Einhaltung bestimmter Regeln – für Sie ein Werkzeug unter vielen sein? Oder schließen Sie Gentechnik kategorisch aus?
Unmüßig: Also, ich würde Gentechnik erstmal ausschließen wollen – wobei wir in der Praxis ja schon jede Menge Gentechnikanwendungen haben. Für mich gilt das Kriterium: Technologien müssen rückholbar sein. Wenn ich ins Genom eingreife, kann ich das nicht rückholen. Falls wir Crispr/Cas dennoch anwenden, müssen wir strengste Kriterien zur Risikoabwägung anlegen. Das Vorsorgeprinzip muss vollumfänglich angewendet werden. Abgesehen davon steht auch die Interessen- und Machtfrage im Raum: In wessen Händen liegt die gentechnologische Forschung? Wem nutzt sie? In Deutschland bringen BASF und Bayer 50 Prozent aller Gelder für die Agrarforschung auf. Das zeigt: Ein Großteil davon fließt in industriell geprägte Innovationen, die mit gerechter und nachhaltiger Landwirtschaft nicht unbedingt zu tun haben.
Herr Niggli, schauen wir mal zurück auf die seit Jahren angewandte „alte“ Gentechnik: Würden Sie sagen, dass sie dazu beigetragen hat, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen?
Niggli: Nein. Mittlerweile sagen fast alle, dass die „alte“ Gentechnik völlig falsch angewandt wurde. Die Konzerne haben sie monopolisiert, für ihre Zwecke genutzt, die Anbausysteme industriell simplifiziert. Aber das hatte weniger mit der Gentechnik als Technologie zu tun als vielmehr mit den ökonomischen Rahmenbedingungen – und Profiteure waren übrigens nicht nur die Konzerne, sondern auch die Verbraucher, die zum Beispiel billiges Fleisch auf ihrem Teller hatten. Deshalb müssen wir zuerst diskutieren, was für eine Landwirtschaft wir wollen. Und dann im nächsten Schritt, mit welchen Mitteln und Werkzeugen – vielleicht auch mit dem Werkzeug der Genschere – wir sie erreichen möchten.
Unmüßig: Und was verschafft Ihnen den Glauben, dass nun mit der „neuen“ Gentechnik eine zukunftstaugliche, weniger profitorientierte Landwirtschaft kommt?
Niggli: Ich denke, diese Technologie ist mittlerweile an staatlichen Universitäten und Forschungsinstitutionen so breit etabliert, dass es eine Monopolisierung durch die Industrie nicht mehr geben wird. Im Übrigen bin ich 100 Prozent mit Ihnen einverstanden: Landwirtschaft hat sehr viel mit Wissen zu tun, auch mit indigenem. Aber auch die Wissenschaft verfügt über Wissen und schafft neues. Ich glaube nicht, dass Wissenschaftler gesetzlose Harakiri-Menschen sind.
Unmüßig: Sie blenden die Interessen- und Machtstrukturen im Ernährungsbereich aus. Die Monopolisierung in unseren Ernährungssystemen war nie so hoch wie heute. Und: Wer ist denn verantwortlich für die zwei Milliarden Menschen, die Übergewicht haben, die zu viel Zucker, zu viel Salz aufnehmen? Große Lebensmittelkonzerne, die mit solch ungesundem Essen viel Geld verdienen. Solche Fehlentwicklungen, die Menschen krankmachen, muss die Politik abstellen.
Niggli: Ja, da geb ich Ihnen recht! Ernährung, Landwirtschaft, Umweltschutz, Ökologie, Gesundheit – all das gehört vollständig zusammen. Und wir brauchen auch eine Politik, die überall am gleichen Strang zieht.
Klingt einfacher, als es ist.
Niggli: Insgesamt sehe ich, dass heute wieder ein riesiges Interesse besteht an Landwirtschaft und Ernährung, gerade auch bei der Jugend. Das macht mich äußerst optimistisch: Wir werden Änderungen sehen. Und zwar absolut in die richtige Richtung.
Dieses Interview ist als Teil der Titelgeschichte der natur-Ausgabe 3/22 “Essen für alle” erschienen.
Die Gesprächspartner:
Urs Niggli, Jahrgang 1953, ist Agrarwissenschaftler und einer der bekanntesten Experten für Biolandwirtschaft. Von 1990 bis 2020 leitete er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz, eines der weltweit führenden Forschungszentren für ökologische Landwirtschaft mit rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 2021 erschien sein Buch „Alle satt? Ernährung sichern für 10 Milliarden Menschen“. (Foto: Michael Fritschi)
Barbara Unmüßig, Jahrgang 1956, ist Politologin. Seit 2002 ist sie Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der parteinahen Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen. 2015 veröffentlichte sie zusammen mit Thomas Fatheuer und Lili Fuhr das Buch „Kritik der Grünen Ökonomie“. Das von der Böll-Stiftung 2019 publizierte Dossier „Neue Gentechnik – Die große Versuchung“ ist als PDF-Download kostenlos verfügbar. (Foto Bettina Keller)