Vielschichtige soziale Beziehungen galten bislang als typisch menschlich. Eine Langzeitstudie zeigt nun, dass auch Delfine in einem komplexen Sozialgefüge leben: Nicht verwandte Männchen schließen sich zu langfristigen Gruppen zusammen und kooperieren sowohl innerhalb ihrer Gruppe als auch mit anderen Gruppen. Auf diese Weise erhöhen sie ihren Fortpflanzungserfolg – und bilden die größten sozialen Netzwerke der Tierwelt. Die Erkenntnisse eröffnen auch neue Perspektiven auf die soziale Evolution des Menschen.
Wollen männliche Delfine allein ein Weibchen für sich gewinnen, haben sie keine guten Chancen. Erfolgreicher sind sie, wenn sie das Weibchen gemeinsam mit einigen männlichen Kameraden verfolgen und einkreisen. Während die Fortpflanzungspartnerinnen wechseln, bleiben die engen Bindungen zwischen zwei bis drei kooperierenden Männchen oft langfristig bestehen, wie frühere Beobachtungsstudien gezeigt haben. Die Paare oder Trios von männlichen Delfinen schwimmen gemeinsam, streicheln sich mit den Flossen, haben Sex miteinander, pfeifen nacheinander, wenn sie getrennt sind, und kommen sich in Kampfsituationen gegenseitig zu Hilfe.
Allianzen auf mehreren Ebenen
Doch auch über diese sogenannten Allianzen erster Ordnung hinaus pflegen männliche Delfine komplexe soziale Beziehungen. Ein Team um Richard Connor von der University of Massachusetts in Dartmouth in den USA hat nun nachgewiesen, dass männliche Delfine ein vielschichtiges Netz von Allianzen bilden und auf diese Weise ihren Fortpflanzungserfolg erhöhen. Seit 1982 beobachtet das Team Große Tümmler in der Shark Bay in Westaustralien. Für die aktuelle Studie haben die Forscher Daten von 121 Männchen ausgewertet, die sie zwischen 2001 und 2006 beobachtet hatten. „Unsere Analyse zeigt das größte bekannte nicht-menschliche Allianznetzwerk mit sehr differenzierten Beziehungen zwischen den Individuen“, schreiben die Forscher.
Bereits in den 1990er Jahren hatte das Team nachgewiesen, dass sich die Paare oder Trios aus erwachsenen Männchen zu sogenannten Allianzen zweiter Ordnung zusammenschließen, die typischerweise aus vier bis 14 nicht verwandten Individuen bestehen. Diese Tiere unterstützen sich gegenseitig, wenn es darum geht, um Weibchen zu werben oder gegen konkurrierende andere Allianzen zu kämpfen. Die aktuelle Studie zeigt nun, dass auch diese Allianzen zweiter Ordnung nicht nur miteinander konkurrieren, sondern auch kooperieren können – und auf diese Weise Allianzen dritter Ordnung bilden.
Mit Verbündeten zu mehr Fortpflanzungserfolg
„In menschlichen Gesellschaften ist die Zusammenarbeit zwischen Verbündeten weit verbreitet und eines der Markenzeichen unseres Erfolgs“, sagt Co-Autorin Stephanie King von der University of Bristol. „Unsere Fähigkeit, strategische, kooperative Beziehungen auf mehreren sozialen Ebenen aufzubauen, wie zum Beispiel Handels- oder Militärbündnisse auf nationaler und internationaler Ebene, wurde früher als einzigartig für unsere Spezies angesehen.“ Die aktuellen Forschungen zeigen, dass männliche Große Tümmler das größte bekannte Netzwerk von mehrstufigen Allianzen im Tierreich bilden. Im Durchschnitt hatte jedes Männchen 22 Verbündete, manche hatten sogar 50.
Die Beobachtungen ergaben, dass die Allianzen den beteiligten Männchen ermöglichen, ihren Fortpflanzungserfolg zu steigern. „Wir zeigen, dass die Dauer, über die diese Teams von männlichen Delfinen mit Weibchen verkehren, davon abhängt, wie gut sie mit Verbündeten dritter Ordnung verbunden sind“, erklärt Kings Kollege Simon Allen. „Das heißt, dass soziale Bindungen zwischen den Allianzen zu langfristigen Vorteilen für diese Männchen führen.“
Neuer Blick auf die soziale Evolution des Menschen
Bislang galt die gruppenübergreifende Zusammenarbeit als einzigartig menschlich. Anthropologen nahmen an, dass sich diese Form der Kooperation erst auf der Grundlage von zwei anderen Merkmalen entwickeln konnte, die uns von anderen Primaten wie Schimpansen unterscheiden: Paarbindungen zwischen Frauen und Männern sowie elterliche Fürsorge durch die Männchen. „Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass Allianzen zwischen Gruppen auch ohne diese Merkmale entstehen können, und zwar auf der Grundlage eines Sozial- und Paarungssystems, das dem der Schimpansen ähnlicher ist“, so Connor.
Co-Autor Michael Krützen vom Institut für Anthropologie an der Universität Zürich, erklärt: „Es ist selten, dass nicht-primatenbezogene Forschung von einer anthropologischen Abteilung durchgeführt wird, aber unsere Studie zeigt, dass wichtige Erkenntnisse über die Evolution von Merkmalen, die bisher als einzigartig menschlich galten, durch die Untersuchung anderer hoch sozialer Arten mit großem Gehirn gewonnen werden können“. Aus Sicht der Autoren zeigt die Arbeit, dass auch Gesellschaften von Delfinen ein wertvolles Modellsystem für das Verständnis der sozialen und kognitiven Evolution des Menschen sein können.
Quelle: Richard Connor (University of Massachusetts Dartmouth) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2121723119