Wie haben sich Ökosysteme mit der Zeit verändert und wie lässt sich die Natur besser schützen? Um diese Fragen zu beantworten, könnten mehr als eine Million Satellitenbilder aus ehemaligen Spionageprogrammen genutzt werden, wie eine Studie zeigt. Die einst geheimen Aufnahmen sind seit Jahrzehnten freigegeben, werden bislang aber kaum für die Erforschung der Umwelt verwendet. Zusammen mit moderner Technik könnten die Spionagebilder historische Einflüsse des Menschen und des Klimawandels aufdecken.
Im Kalten Krieg haben US-amerikanische Spionagesatelliten ab den 1960er Jahren eine große Zahl von Bildern aufgenommen. Die analogen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen die Erde von oben und erfassen sowohl bewohnte und als auch unbewohnte Flächen. Viele dieser ursprünglich geheimen Bilder wurden ab 1996 für die Öffentlichkeit freigegeben und sind seither weltweit verfügbar. Forschende nutzen die alten Militär-Aufnahmen bereits in vielen Fachgebieten, beispielsweise in der Archäologie, der Gletscherkunde oder dem Bauingenieurwesen, um moderne zivile Fernerkundungsdaten zu ergänzen. Denn zivile Aufnahmen existieren oftmals nur für ausgewählte Gebiete und erst seit den 1980er Jahren, in hoher Auflösung sogar erst ab den 2000er Jahren. In der ökologischen Forschung und im Naturschutz wurden die historischen Bilder bislang jedoch kaum verwendet.
Was lässt sich aus den Satellitenbildern ablesen?
Ein Team um Catalina Munteanu von der Universität Freiburg will nun die Nutzung der ehemals geheimen Satellitenaufnahmen in der Umweltforschung vorantreiben. Dafür werteten die Forschenden zunächst die Metadaten von mehr als einer Million Bildern aus den vier freigegebenen historischen US-Spionagesatellitenprogrammen aus, um herauszufinden, wie umfassend die darin enthaltenen Informationen sind. Die Analyse ergab, dass die alten Aufnahmen im Gegensatz zu moderneren Fernerkundungsdaten nahezu die gesamte Erde abdecken und für alle Jahreszeiten vorliegen, überwiegend sogar mit hoher Auflösung. Anschließend untersuchte das Team, in welchen ökologischen Studien bereits Bilder dieser Spionagesatelliten verwendet wurden. Daraus leiteten sie mögliche zukünftige Anwendungsgebiete ab.
Demnach eignen sich die Spionage-Bilder gut für historische Vergleiche und die Erforschung von Altlasten. Mit den Aufnahmen könnte zum Beispiel besser nachvollzogen werden, wie sich einzelne Lebensräume im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert haben und wie der Mensch oder der Klimawandel die Ökosysteme beeinflusst haben. Das liefert auch genauere Rückschlüsse auf die ehemals und heute dort lebenden Arten. „So hat beispielsweise der Schwarzwald nach dem Zweiten Weltkrieg eine intensive menschliche Nutzung erfahren, die die Zusammensetzung des Waldes und die Funktionsweise des Ökosystems dramatisch verändert hat und wahrscheinlich noch immer die Fähigkeit des Ökosystems beeinträchtigt, die Herausforderungen der Gegenwart – wie den Klimawandel – zu bewältigen“, erklärt Munteanu.
Weitere Beispiele sind umfassende Abholzungen in Rumänien oder veränderte Flussläufe in Albanien, die durch den Vergleich mit den historischen Bildern deutlich zutage treten. Vergleicht man dagegen nur modernere Satellitenaufnahmen, sind diese frühen Veränderungen nicht mehr erkennbar. Dank moderner Bildverarbeitung und -analyse könnten die alten Satellitenaufnahmen heute insgesamt bessere Einblicke in die langfristigen Veränderungen von Ökosystemen, Artenpopulationen oder des menschlichen Einflusses auf die Umwelt seit den 1960er Jahren bieten, so die Forschenden. Zu wissen, wie Ökosysteme einst aussahen, könnte Fehlschlüsse über ihren aktuellen Zustand vermeiden und künftig auch helfen, sie wiederherzustellen und besser zu schützen.
Hürden für die Bildnutzung
Es gelte jedoch auch, Schwierigkeiten zu überwinden, um die Aufnahmen der Spionagesatelliten in der ökologischen Forschung effektiv zu nutzen, mahnen Munteanu und ihre Kollegen. Unter anderem ist der Zugang zu den Daten begrenzt, weil es aufwendig und teuer ist, die analogen Bilder so zu bearbeiten und zu korrigieren, dass sie digital ausgewertet werden können. Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft gebe es dabei bislang keine einheitlichen Arbeitsabläufe. „Unsere Arbeit ist daher ein Aufruf zur interdisziplinären Zusammenarbeit, um diese Probleme zu lösen und das volle Potenzial dieser unglaublichen Datenschätze zu erschließen“, sagt Munteanu. Bei der eigentlichen Auswertung der Bilder könnte künftig auch künstliche Intelligenz helfen, hoffen die Forschenden.
Quelle: Catalina Munteanu (Universität Freiburg) et al., BioScience, doi: 10.1093/biosci/biae002