Von wegen nur auf die Großwildjagd spezialisiert: Eine Studie belegt, dass die frühen menschlichen Bewohner des heutigen Deutschlands ein breiteres Beutespektrum nutzten: Sie machten offenbar auch systematisch Jagd auf Biber. Dies geht aus der Untersuchung einer großen Knochenansammlung der Nager hervor, die in Thüringen entdeckt wurde. Charakteristische Schnittspuren an den etwa 400.000 Jahre alten Überresten belegen, dass die Tiere von menschlichen Wesen geschlachtet und gehäutet wurden. Den Befunden zufolge hatten es die eiszeitlichen Jäger offenbar gezielt auf junge Exemplare abgesehen, die fett und ausgewachsen, aber noch unerfahren waren, berichten die Forscher.
Von was ernährten sich die archaischen Menschenformen, die im Verlauf der letzten Eiszeit in Europa gelebt haben? „Bisher prägte die Lehrmeinung, dass sie sich bis vor zirka 50.000 Jahren vor allem von Großwild ernährten und dass dies einen wichtigen Unterschied zu den flexiblen Nahrungsstrategien des modernen Menschen dargestellt haben könnte“, sagt Erst-Autorin Sabine Gaudzinski-Windheuser von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zumindest was die Neandertaler betrifft, gibt es mittlerweile aber bereits Hinweise darauf, dass auch sie schon ein breiteres Nahrungsspektrum besaßen, als lange angenommen. Inwieweit allerdings auch schon ihre Vorfahren aus dem mittleren Pleistozän neben Großwild kleinere Tiere als Ressource nutzten, ist unklar. Denn anhand von Schnittspuren an Knochen ist nur die Nutzung von Großsäugern wie Wildrindern und Nashörnern durch die Homininen dieser Ära belegt.
Wie breit war das Beutespektrum?
Doch es liegt nahe, dass dies einen schiefen Eindruck zur Ernährungsweise vermittelt. Gaudzinski-Windheuser zufolge hat dies einen simplen Grund: „Die Überreste von großen Tieren aus dieser Zeit sind im Allgemeinen viel besser erhalten als die von kleinen Tieren“. Im aktuellen Fall geht es nun aber doch um Funde der zweiten Kategorie aus der Ära des Mittleren Pleistozäns. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Biberknochen, die im Verlauf der letzten Jahre an einem Fundort bei Bilzingsleben in Thüringen ausgegraben wurden. Insgesamt sind es 2496 Knochen und Zähne, die wahrscheinlich von insgesamt 94 Bibern stammen. Der Datierung zufolge haben sie vor etwa 400.000 Jahren in dem damals von Gewässern geprägten Gebiet gelebt.
Mit Blick auf die überraschend umfangreiche Ansammlung von Biberüberresten stellten sich die Wissenschaftler die Frage, ob die Tiere auf natürliche Weise umgekommen waren. Ein merkwürdiger Aspekt war dabei auch, dass es sich den Merkmalen der Knochen und Zähne zufolge mehrheitlich um recht junge Tiere gehandelt hat. Hatten also vielleicht menschliche Wesen die Hand im Spiel gehabt? Um Genaueres zu erfahren, haben Gaudzinski-Windheuser und ihre Kollegen die Knochen nun mit verschiedenen Vergrößerungstechniken unter die Lupe genommen, um möglicherweise subtile Bearbeitungsspuren aufzudecken.
Charakteristische Kratzer von Steinwerkzeugen
Wie sie berichten, identifizierten sie tatsächlich zahlreiche Schnittspuren von Steinwerkzeugen an den Knochen. Es liegt nahe, dass sie der Entfernung von Fleisch gedient haben. In einige Fällen zeichnet sich aber auch anhand der Positionen der Schnittspuren ab, dass sie der Entfernung des Fells des Tieres gedient haben könnten. Insgesamt lassen die identifizierten Spuren darauf schließen, dass die Tierkörper intensiv genutzt wurden, so die Forscher. „Interessant ist auch, dass es sich bei den Überresten in Bilzingsleben vor allem um Knochen junger, erwachsener Biber handelt“, sagt Gaudzinski-Windheuser. Wie sie erklärt, legt dies nahe, dass die Menschen damals gezielt Jagd auf diese zwar ausgewachsenen, aber noch unerfahrenen Tiere gemacht haben. Vielleicht waren sie durch bestimmte Jagdstrategien leichter zu erbeuten, so die mögliche Erklärung.
Grundsätzlich klar erscheint, dass sich die Jagd auf die bis zu rund 20 Kilogramm schweren Nager gelohnt haben könnte. Denn der Körper des Bibers besitzt viel energiereiches Fett, dass die Menschen des mittleren Pleistozäns sicher gut gebrauchen konnten. Außerdem könnte sein dichtes und wärmendes Fell begehrt gewesen sein. Sogar einen möglichen dritten Aspekt gibt es: Die Nager produzieren ein Sekret, das als Bibergeil bezeichnet wird. Es wird seit Urzeiten zu medizinischen Zwecken genutzt und kann auch bei der Jagd auf verschiedene Tiere als ein Lockmittel eingesetzt werden.
Wie genau die menschlichen Wesen den Biber vor 400.000 Jahren nutzten, bleibt zwar unklar, doch grundsätzlich haben die Studienergebnisse nun verdeutlicht: „Auch schon bei den archaischen Menschen im Europa des mittleren Pleistozäns gab es eine größere Diversität bei der Beutewahl als allgemein angenommen“, resümieren die Wissenschaftler.
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Fachartikel: Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-023-46956-6