„Messer“, „Keil“ und „Löffel“: Forscher haben bei wild lebenden Goffinkakadus den Einsatz von bis zu drei selbstgebauten Werkzeugen beobachtet. Die cleveren Vögel setzen sie nacheinander ein, um an Samen einer tropischen Frucht zu gelangen. Ein derart komplexer Werkzeuggebrauch war in freier Wildbahn bisher nur von Primaten bekannt, sagen die Wissenschaftler.
Scharfer Verstand in gefiederten Köpfchen: Viele Studien belegen bereits die erstaunlichen kognitiven Fähigkeiten der Goffinkakadus (Cacatua goffiniana). Während andere Tiere Anpassungen wie etwa eine lange Zunge, Rüssel oder spezialisierte Schnäbel hervorgebracht haben, ist das Erfolgsgeheimnis dieser Papageienvögel ihr leistungsstarkes Gehirn – ähnlich wie bei uns Menschen. Untersuchungen an in Gefangenschaft gehaltenen Goffinkakadus haben bereits gezeigt, dass sie komplexe Zusammenhänge begreifen und sich Werkzeuge selbst herstellen können, die an den jeweiligen Zweck angepasst sind.
Es liegt nahe, dass diese kognitiven Fähigkeiten entstanden sind, da sie den Vögeln bei ihrer generalistischen Ernährungsweise in freier Wildbahn einen Überlebensvorteil bieten. Genau dies konnten die Forscher um Mark O’Hara vom Messerli-Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna nun belegen. Bereits seit einiger Zeit untersuchen sie das Verhalten der Goffinkakadus in ihrem natürlichen Habitat auf den Tanimbarinseln Indonesiens. Eines Tages entdeckte O’Hara dabei das erstaunliche Verhalten: „Ich konnte es kaum glauben! Als ich den Kakadus eine bestimmte Frucht aus dem Wald anbot, begann ein Exemplar sich ein Werkzeug aus einem Ast zu basteln. Es war verblüffend, wie geschickt und kompetent der Vogel dieses Werkzeug anschließend anzuwenden verstand,“ so der Kognitionsforscher.
Drei Werkzeuge führen zum Ziel
Anschließend widmete sich das Team der gezielten Untersuchung des spannenden Verhaltens. „Es wird rasch und dynamisch durchgeführt, außerdem mutet es recht unscheinbar an, weshalb es fast unmöglich war, es im dichten Blätterdach zu beobachten. Doch wir hatten die Möglichkeit, detaillierte Beobachtungen aus der Nähe anzustellen, da wir eine Gruppe wilder Kakadus für kurze Zeit in einer Beobachtungsvoliere unterbrachten“, sagt O’Hara. Wie er und seinen Kollegen berichten, handelt es sich bei dem Futterobjekt im Fokus um eine Frucht, die einen hartschaligen Kern enthält, in dem das eigentliche Objekt der Begierde steckt: das weiche Samenfleisch. Die Beobachtungen verdeutlichten schließlich, dass einige Goffinkakadus unterschiedliche Holzfragmente nacheinander verwenden, die sie aus Ästen herstellen, um das Samenmaterial schließlich durch einen Schlitz aus den Fruchtsteinen „herauszulöffeln“.
„Durch Analysen der Werkzeuge und den damit ausgeführten Aktionen konnten wir dokumentieren, dass die Goffins tatsächlich bis zu drei verschiedene Werkzeuge mit jeweils unterschiedlicher Funktion einsetzen und sich auch hinsichtlich der Herstellungsart unterscheiden,“ sagt O‘Hara. Konkret setzen die Vögel zunächst ein dünnes und spitzes Werkzeug wie ein Messer ein, um den Schutzmantel um den Samen zu öffnen. Danach fungiert ein dickeres Hölzchen als eine Art Keil, um den natürlichen Schlitz in der harten Samenschale zu weiten. Dadurch verschaffen sich die Vögel besseren Zugang zu dem Samenmaterial im Inneren, das sie dann mit dem dritten Element des Sets herauslöffeln. Dazu dient ein eher größeres und breiteres Stöckchen. “Dieser Tool Set der Goffins erinnert an die Nutzung von Besteck,“ sagt Seniorautorin Alice Auersperg von der Vetmeduni Vienna.
Individuelle Verstandesleistung
Wie die Wissenschaftler betonen, ist der Einsatz eines solchen „Tool Sets“ im Vergleich zur Nutzung nur eines Werkzeugs deutlich anspruchsvoller. Entsprechend komplexe Verhaltensweisen waren ihnen zufolge bisher nur von Menschen, Schimpansen und Kapuzineraffen bekannt. „Besonders beeindruckend ist auch, dass die Goffinkakadus solche Meisterleistungen mit unglaublichem Geschick und größter Präzision ausführen,“ sagt Co-Autorin Berenika Mioduszewska.
Das Verhalten beruht offenbar auch nicht auf einem Instinkt, sondern auf der Fähigkeit jedes einzelnen Tieres, komplexe Zusammenhänge zu begreifen. Denn nicht alle Goffinkakadus zeigen das Verhalten, ging aus den Beobachtungen hervor. „Diese Tatsache ist wichtig, da ein artenweiter Werkzeuggebrauch eventuell stärker genetisch verankert ist. Weisen hingegen nur wenige Gruppenmitglieder ein solches Verhalten auf, deutet das auf eine selbstständige Entwicklung einzelner Individuen hin,“ erklärt Mioduszewska.
Die Studienergebnisse belegen somit nun, dass komplexer Werkzeuggebrauch und die damit verbundenen Kognitionsleistungen nicht nur bei Primaten entstanden sind. Damit werfen sie auch Licht auf die Umstände, die zu einer Evolution von Intelligenz und Technologien bei Lebewesen beitragen können, sagen die Forscher. “Diese Entdeckung ist ein Schatz“, sind sich O‘Hara und Mioduszewska einig. Man darf nun gespannt sein, was die Wissenschaftler noch über die gefiederten Stars der Kognitionsforschung herausfinden werden.
Quelle: Vetmeduni Vienna, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2021.08.009