Selbst wenn eine Tierart ein großes Verbreitungsgebiet auf der Erde hat, können die Folgen des Klimawandels ihr Überleben bedrohen, wie Forscher herausgefunden haben. Zwar sind weit verbreitete, landlebenden Säugetierspezies in Bezug auf das Klima und ihren Lebensraum sehr flexibel. Hinsichtlich der Bandbreite ihrer Nahrungsquellen jedoch nicht immer. Kritisch wird es daher, wenn der Klimawandel oder menschliche Einflüsse zum Rückgang ihrer Futterquellen führen.
Der Klimawandel schreitet immer weiter fort – mit bereits dramatischen Folgen für die Tierwelt: Arten, die sich nicht schnell genug A an die Erwärmung anpassen, müssen etwa von ihren Heimatgebieten in kühlere Regionen abwandern. Doch nicht alle Tiere können der schnellen Verlagerung ihrer Lebensräume folgen: Vermutlich werden zehn Prozent aller Säugetiere den Wettlauf mit dem Klimawandel verlieren – einige Spezies ganz besonders.
Wie hängen Bedrohung und Verbreitung zusammen?
Welche das genau sind, haben Wissenschaftler um Shan Huang vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt am Main untersucht. Sie interessierte dabei besonders, welcher Zusammenhang zwischen dem aktuellen Verbreitungsgebiet von Arten und der Bandbreite klimatischer Bedingungen besteht, unter denen Arten überleben, sich fortpflanzen, und so überlebensfähige Populationen bilden können. Bisher galt die Annahme, dass weit verbreitete Arten meist an eine Vielzahl an verschiedenen Umweltbedingungen angepasst sind und so auch mit veränderten klimatischen Bedingungen besser zurechtkommen als weniger stark verbreitete Spezies.
Huang und ihr Team prüften diese Annahme anhand von 540 Landsäugetierarten. Diese untersuchten sie darauf, inwiefern sich die Bandbreite von Umweltbedingungen, unter denen die Spezies überleben kann – die sogenannte ökologische Nische – in deren Verbreitungsgebiet widerspiegelt. Die Forscher analysierten dazu sowohl die Größe der Streifgebiete individueller Tiere einer Art als auch die Größe der Verbreitungsgebiete der Spezies insgesamt, also aller Individuen zusammen. Die durchschnittlichen individuellen Streifgebiete und die Gesamt-Verbreitungsgebiete glichen die Wissenschaftler mit Daten zu zwei Faktoren ab: Einerseits mit Daten zur Bandbreite der Lebensräume dieser Art und zum anderen mit dem Nahrungsspektrum der Spezies und damit der Anzahl an verschiedenen Futterquellen, die die Tiere bekanntermaßen häufig nutzen.
Unterschiedliche Einflussfaktoren für Art und Individuum
Das Ergebnis: Die Größe des Verbreitungsgebiet eines Individuums und einer Art hängen von unterschiedlichen Faktoren ab. „Die Faktoren, die ausschlaggebend dafür sind, wie groß das durchschnittliche, individuelle Streifgebiet eines landlebenden Säugetiers und das Verbreitungsgebiet seiner gesamten Art ist, sind völlig unterschiedlich”, erklärt Huang. So
hängt der individuelle Aktionsradius und damit das Streifgebiet eines Säugetiers davon ab, wie vielfältig sich die Art ernährt und wie groß das Tier durchschnittlich ist. Die Körpergröße spielt eine Rolle, weil sie den Nahrungsbedarf des Tiers und seine Fähigkeit auf Nahrungssuche zu gehen, bestimmt.
Wie groß das Verbreitungsgebiet der gesamten Säugetierart ist, hängt im Gegensatz dazu von der Bandbreite der Lebensräume ab, in denen sich die Art wohlfühlt – das Nahrungsspektrum und die Körpergröße haben darauf keinen Einfluss. Kann eine Spezies verschiedene Lebensräume nutzen, deutet dies zwar daraufhin, dass die Art als Ganzes mit unterschiedlichen Umweltbedingungen zurechtkommt. In dieser Hinsicht flexible Arten tendieren daher dazu, großräumig verbreitet zu sein. Das aber bedeutet nicht automatisch, dass die einzelnen Tiere dieser Art ihr Lebensgebiet genauso flexibel anpassen oder wechseln können. Denn die Faktoren, die die Verbreitung von Landsäugetieren auf Individuen- und Artebene beeinflussen unterliegen unterschiedlichen ökologischen und evolutionären Dynamiken.
Große Verbreitung ist kein Schutz per se
Das aber bedeutet: Auch weit verbreitete Arten sind nicht automatisch vor dem Aussterben durch den Klimawandel geschützt. „Weit verbreitete Arten sind nicht zwingend auf allen Gebieten Generalisten, die mit jedweden Umweltveränderungen umgehen können“, erklärt Huang. Zwar können landlebende Säugetierarten mit großen Verbreitungsräumen im Gegensatz zu weniger verbreiteten Spezies eine größere Vielfalt an Umweltfaktoren wie Klimabedingungen oder Lebensraumtypen tolerieren. „Sie sind aber nicht zwangsläufig in der Lage, sich an einer größeren Vielfalt von Nahrungsressourcen zu bedienen“, ergänzt Huang.
„Viele weit verbreitete Arten sind wählerisch, was ihre Nahrung angeht und könnten vom Aussterben bedroht sein, wenn der Klimawandel oder menschliche Aktivitäten dazu führen, dass das potenzielle Futter in ihren Lebensräumen weniger wird”, fasst die Forscherin zusammen. Damit ist die Größe des geografischen Verbreitungsgebiets einer Spezies allein kein zuverlässiger Anhaltspunkt, um vorherzusagen, ob die Art vom Aussterben bedroht ist.
Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Fachartikel: Ecoloy Letters, doi: 10.1111/ele.13759