Für uns ist es trivial: Wir begreifen schon von Kindheit an, dass ein Foto eine zweidimensionale Abbildung realer Objekte oder Ereignisse darstellt. Deshalb erkennen wir eine Person in ihrem Portraitfoto genauso wieder als wenn wir ihr in Wirklichkeit gegenüber ständen. Doch diese Fähigkeit ist nicht selbstverständlich: Viele Tiere beherrschen diese Transferleistung nicht, andere müssen erst in langem Training lernen, dass ein Objekt auf dem Bild das gleiche ist wie ein Objekt in Wirklichkeit.
Fotoschau für Migwan
Die junge Schwarzbärin Migwan hat Biologen nun die Chance eröffnet, diese Fähigkeit auch für die in Nordamerika heimische Bärenart zu testen. Migwan ist in der Wildnis geboren, wurde aber als Jungtier verletzt und lebt seither in einem Gehege. Für ihre Studie trainierten Zoe Johnson-Ulrich von der Oakland University und ihre Kollegen die Bärin darauf, bestimmte reale Gegenstände anzutippen, um eine Futterbelohnung zu bekommen.
Im eigentlichen Experiment zeigten die Forscher Migwan jeweils einen dieser Gegenstände und ein anderes Objekt – diesmal aber nicht in echt, sondern nur als Abbildung. Die Frage war: Würde die Schwarzbärin dennoch die bekannten Objekte auf diesen Bildern erkennen und genauso antippen wie ihre realen Gegenparts?
Bärin erkennt Bekanntes auch auf Fotos
Und tatsächlich: Migwan ließ sich von der Tatsache, dass sie nur Fotos sah, nicht irritieren. “Sie zeigte eine klare Transferleistung”, berichten die Biologen. Ihre Trefferquote unterschied sich bei den Fotos kaum von der bei den realen Objekten. “Das belegt, dass Amerikanische Schwarzbären ebenfalls zu den Tierarten gehören, die Repräsentationen realer Gegenstände auf Fotos erkennen können”, so die Forscher.
Interessanterweise gab es aber eine Einschränkung: Migwan begriff zwar schnell, dass zuvor gelernte reale Objekte auch auf den Bildern eine Belohnung bringen. Umgekehrt aber hatte sie erheblich Probleme damit, Fotomotive in der Wirklichkeit wiederzuerkennen. Wurde ihr ein neuer Gegenstand zuerst auf einem Foto präsentiert, zeigte sie beim Anblick des realen Objekts keinerlei Anzeichen eines Wiedererkennens, wie die Biologen feststellten.
Woran dies liegt und andere Schwarzbären diese umgekehrte Transferleistung vielleicht doch beherrschen, muss nun noch in weiteren Versuchen getestet werden. Unklar bleibt auch, ob die Schwarzbären wirklich verstehen, dass ein Foto ein Abbild der Realität ist – oder ob sie einfach nur Ähnlichkeiten in Farbe und Form mit bekannten Gegenständen sehen und deshalb darauf reagieren.
Quelle: Springer, Fachartikel: Animal Cognition, doi: 10.1007/s10071-016-1011-4