Eine grammatikalisch ausgefeilte Sprache gilt als einzigartig für den Menschen. Die Grundlagen dafür könnte aber schon der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschen, Affen und Menschenaffen vor rund 40 Millionen Jahren besessen haben. Das legt eine neue Studie nahe, der zufolge alle drei Spezies in der Lage sind, grammatikalische Beziehungen zwischen den Bausteinen der Sprache zu verstehen.
Mittels Sprache tauschen wir Menschen Informationen und Gedanken aus, können eine gemeinsame Kultur schaffen und Technologien entwickeln. Die Grundlage dafür bildet die Fähigkeit, die Beziehung zwischen Wörtern in einem Satzgefüge zu verstehen. Wann sich diese Fähigkeit in unserer Evolutionsgeschichte entwickelt hat, ist bis heute unklar. Frühere Studien haben bereits darauf hingedeutet, dass Neuweltaffen ein gewisses Verständnis für grammatikalische Strukturen haben. Umstritten war aber, ob diese Fähigkeit auf den gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen zurückgeht, oder ob sie sich bei Affen und Menschen später unabhängig voneinander entwickelt hat.
Künstliche Grammatik
„Die Erforschung der Sprachentwicklung ist von zentraler Bedeutung, um zu verstehen, was es heißt Mensch zu sein“, sagt Stuart Watson von der Universität Zürich. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er mit einem einheitlichen experimentellen Design sowohl Menschen, Neuweltaffen und Menschenaffen auf ihr grammatikalisches Verständnis getestet. Insbesondere ging es darum, ob die menschlichen und tierischen Probanden die Beziehung zwischen zusammengehörigen Wörtern verstehen, die durch andere Satzteile getrennt sind.
Ein Beispiel für eine solche grammatikalische Konstruktion ist der Satz „Der Hund, der die Katze biss, rannte weg.“ Hierbei ist klar, dass sich das Wegrennen auf den Hund bezieht, obwohl mehrere Wörter dazwischen stehen. Um das Verständnis für solche „nicht benachbarten Abhängigkeiten“ zu testen, entwickelten die Forscher eine künstliche Grammatik, bei der die Sätze aus Tönen statt Wörtern bestehen. Auf diese Weise konnten sie die gleichen Aufgaben für alle drei Spezies verwenden, obwohl diese kein gemeinsames Kommunikationssystem besitzen.
Irritiert durch Grammatikfehler
In mehreren Trainingseinheiten brachten sie brasilianischen Weißbüschelaffen, Schimpansen und Menschen bei, dass auf gewisse Töne immer bestimmte andere Töne folgen, selbst wenn die zusammengehörigen Sequenzen durch andere Tonfolgen getrennt waren. Dies simuliert, dass wir in der menschlichen Sprache beispielsweise nach einem Hauptwort wie „der Hund“ ein Verb wie „rannte weg“ erwarten, auch wenn ein anderer Satzteil („der die Katze biss“) dazwischengeschoben ist.
Für das Experiment spielten die Forscher ihren Probanden neben den zuvor gelernten Tonfolgen neue Sequenzen vor, die entweder den gleichen Regeln folgten oder diese verletzten. Die menschlichen Probanden befragten sie im Anschluss, welche Sequenzen sie als richtig und welche sie als falsch empfunden hatten. Bei Weißbüschelaffen und Schimpansen beobachteten die Forscher stattdessen das Verhalten der Tiere. Tatsächlich zeigte sich: Verletzte eine Tonfolge die zuvor gelernten Regeln, blickten die Affen deutlich länger zum Lautsprecher als bei bekannten und unbekannten Sequenzen, die den Regeln folgten. Offenbar waren sie irritiert, weil sie Fehler in der Grammatik bemerkten.
Schimpansen als Bindeglied
„Die Ergebnisse zeigen, dass alle drei Arten in der Lage sind, nicht benachbarte Abhängigkeiten zu verarbeiten. Die Fähigkeit ist bei Primaten also wahrscheinlich weit verbreitet“, sagt Watsons Kollege Simon Townsend. „Das deutet darauf hin, dass dieses kritische Merkmal der Sprache bereits bei unserem letzten gemeinsamen Vorfahren existierte.“ Die Erkenntnisse zu Schimpansen liefern dabei ein wichtiges Bindeglied. Da sich die Entwicklungszweige von Menschen und Schimpansen erst deutlich später getrennt haben als die von Menschen und Neuweltaffen, ist es wahrscheinlich, dass die Fähigkeit nicht durch konvergente Evolution entstanden ist, sondern tatsächlich auf den letzten gemeinsamen Vorfahren zurück geht.
Der letzte gemeinsame Vorfahre der drei Spezies lebte vor rund 40 Millionen Jahren. Grundlegende grammatikalische Fähigkeiten haben sich demnach bereits Millionen Jahre vor der eigentlichen Sprache entwickelt. Auch in der Kommunikation heutiger Affen lassen sich grammatikalische Strukturen beobachten. Diese sind jedoch in der Regel sehr simpel und bestehen nur aus zwei Gliedern. Ob die Affen einen komplexeren Satzbau nicht nur verstehen, sondern auch aktiv einsetzen können, müssen weitere Studien klären.
Quelle: Stuart Watson (Universität Zürich) et al., Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.abb0725