Abholzung und Brandrodung verändern die Ökosysteme in Regenwäldern und machen sie weniger widerstandsfähig. Diese gelten dadurch als verwüstet und verarmt. Doch bis zu einem gewissen Grad beherbergen auch solche bewirtschafteten Tropenwälder noch eine florierende Flora und Fauna, wie eine Studie nun aufzeigt. Diese Wälder können sich wieder erholen und dienen weiterhin als CO2-Senke. Demnach lohnt es sich zum Schutz der Biodiversität und des Klimas, nicht nur unberührte, intakte Regenwälder unter Naturschutz zustellen, sondern auch bereits modifizierte Gebiete. Ab einem gewissen Punkt sind die Wälder jedoch tatsächlich verloren.
Die tropischen Regenwälder der Erde sind riesige CO2-Senken und damit wichtig für die Erhaltung des Klimas. Zudem sind sie das Zuhause tausender Tier- und Pflanzenarten. Ihre Zerstörung und Degradierung durch Brandrodung, Abholzung oder Fragmentierung schaden daher der Biodiversität und dem Klima. Aber ab welcher Fläche ist es zu viel der Abholzung? Wo liegt der Grenzwert, ab dem sich ein Regenwald nicht wieder selbst regenerieren kann?
Schwellenwerte am Beispiel Malaysias
Um das herauszufinden, hat ein Forschungsteam um Robert Ewers vom Imperial College London nun Daten aus 127 Studien zum Zustand der Tier- und Pflanzenwelt in einem Regenwald in Malaysia ausgewertet. Sie belegen die Entwicklung von 590 Pflanzen, 88 Säugetieren, 161 Vögeln, neun Reptilien, 42 Amphibien, 26 Fischen und 635 Wirbellosen wie Insekten über einen Zeitraum von elf Jahren. Die Gegend im Bundesstaat Sabah auf Borneo umfasst verschiedene forstwirtschaftliche Zonen: vom unberührten Regenwald über geschützte Pufferzonen an Flüssen und teilweise bewirtschaftete Gebiete bis zu nahezu komplett in Ölplantagen umgewandelte Areale.
Die Auswertung ergab, dass ein menschlicher Eingriff in den Tropenwald immer ökologische Folgen hat – egal, wie klein die gerodete Fläche ist. Doch ein wichtiger Grenzwert scheint „erst“ bei 29 Prozent Biomasse-Verlust zu liegen: Wenn in den Wäldern weniger Bäume abgeholzt werden, bleibt die Artenvielfalt darin noch weitgehend erhalten. „Wir haben festgestellt, dass viele dieser ‚verwüsteten‘ Wälder eine überraschende Artenvielfalt beherbergen“, sagt Co-Autor Will Pearse vom Imperial College London. Werden die Wälder unterhalb dieses Grenzwerts wieder in Ruhe gelassen, können sie sich zudem auch meist wieder erholen, wie das Team feststellte.
Eine weitere wichtige Schwelle liegt den Daten zufolge bei 68 Prozent Biomasse-Verlust. Wird dieser Punkt überschritten, sterben viele Pflanzen und Tiere aus oder werden durch invasive Arten verdrängt. Das schwächt das Ökosystem erheblich. Um die Biodiversität in diesen Gebieten zu erhalten, seien umfassende Schutzmaßnahmen nötig, so die Forschenden. Von allein können sich diese Regenwälder nicht wieder regenerieren. „Die Veränderungen der biologischen Vielfalt sind unter 30 Prozent und über 70 Prozent Biomasseverlust schneller. Das deutet darauf hin, dass jede Verbesserung des Lebensraums in diesen Gebieten zu dramatischen Veränderungen der biologischen Vielfalt führen würde“, fasst Seniorautorin Cristina Banks-Leite, ebenfalls vom Imperial College London, die Ergebnisse zusammen.
Die exakten Zahlen für die Schwellenwerte können zwar von Region zu Region variieren, wie das Team berichtet. Doch die für Malaysia beispielhaft ermittelten Zahlen geben erstmals eine Orientierung und Faustregel, wie viel Unterstützung die Regenwälder in Südostasien bei der Regeneration benötigen, abhängig vom Ausmaß ihrer bisherigen Bewirtschaftung. „Wir haben jetzt einen Rahmen, um zu bewerten, wo diese Veränderungspunkte in anderen Ökosystemen liegen könnten“, so Ewers.
Auch bewirtschaftete Wälder können ökologisch wertvoll sein
Die Studie gibt damit neue Anhaltspunkte für Regierungen und Entscheidungsträger, welche Wälder es noch „wert sind“, gerettet zu werden – beziehungsweise, wo welche Schutz- oder Aufforstmaßnahmen am sinnvollsten eingesetzt werden sollten. „Im Naturschutz gibt es eine Tendenz, unberührte Wälder als die einzigen zu betrachten, in die es sich zu investieren lohnt – dass bereits teilweise abgeholzte Wälder es nicht wert sind, betrachtet zu werden“, sagt Ewers. „Was wir gezeigt haben, ist, dass das potenzielle ‚Naturschutzgebiet‘ viel größer ist als wir dachten. Obwohl unberührte Wälder weltweit schrumpfen, bedeutet dies nicht, dass alle Hoffnung verloren ist. Es gibt andere Wälder, die wir schützen können, um die Artenvielfalt zu erhalten.“
Die Erkenntnisse weiten damit auch die Möglichkeiten für eine Kombination von Fortwirtschaft und Naturschutz: „Ein gewisses Maß an Abholzung kann immer notwendig sein. Obwohl diese Wälder nicht so ideal sind wie unberührte Wälder, können sie sich ab einem bestimmten Schwellenwert immer noch als funktionierende Ökosysteme erhalten“, sagt Pearse. „Wir haben gezeigt, dass Flora und Fauna in bewirtschafteten und teilweise abgeholzten Wäldern innerhalb bestimmter Grenzen überleben und sogar gedeihen kann. Diese modifizierten Wälder sind aufgrund ihrer Artenvielfalt und ihrer Funktion als CO2-Senke erhaltenswert“, ergänzt Co-Autor Roger Kitching von der Griffith University in Australien. Die Forschenden wollen anhand der Daten nun ein virtuelles Abbild des Tropenwaldes in Malaysia erstellen, um die Entwicklungen der Natur noch besser nachvollziehen und vorhersagen zu können.
Quelle: Imperial College London; Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-024-07657-w