Der Klimawandel sorgt im Arktischen Ozean für schwindende Meereisflächen und Strömungsveränderungen. Forscher präsentieren nun überraschende Informationen dazu, wie sich dies auf das Wachstum der Meeresalgen auswirkt, die für die Bildung der Biomasse der Region verantwortlich sind. Die Produktivität ist demnach in den letzten 20 Jahren um satte 57 Prozent gestiegen. Die geringere Lichtabschirmung ist dabei offenbar nur ein Faktor – es kommt wohl auch zu „düngenden“ Prozessen, geht aus den Daten hervor. Einen entscheidenden Beitrag zur Reduktion von atmosphärischem CO2 sprechend die Forscher dem Effekt aber nicht zu. Auch seine Bedeutung für die Ökosysteme muss sich erst noch zeigen.
Die Klimaerwärmung hat den hohen Norden in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert: Im Sommerhalbjahr schmilzt das arktische Meereis nun so stark, dass nur noch eine vergleichsweise geringe Ozeanoberfläche bedeckt beleibt. In den 1980er Jahren entsprach sie noch etwa der 20-fachen Fläche Deutschlands. In den vergangenen Jahren blieb im Sommer hingegen durchschnittlich nur noch die 10-fache Fläche übrig. Das bedeutet, dass viel größere Meeresbereiche dem direkten Sonnenlicht der langen arktischen Sommertage ausgesetzt sind. Es schien bereits klar, dass dies das Wachstum der winzigen Meeresalgen antreibt, die durch Photosynthese aus Kohlendioxid und Licht energiereiche Moleküle herstellen und Biomasse aufbauen. Dieses Phytoplankton bildet damit die Grundlage der Nahrungskette im arktischen Ozean – von winzigen Krebschen, über Fische bis hin zu Robbe und Eisbär.
Das Algenwachstum im Blick
Im Rahmen ihrer Studie sind die Forscher um Kate Lewis von der Stanford University nun genauer der Frage nachgegangen, wie sich die Biomasseproduktion der Algen im Arktischen Ozean im Zuge des Klimawandels verändert hat. Als Informationsquelle dienten ihnen dabei Satellitendaten aus der Zeitspanne von 1998 bis 2018. Wie sie erklären, waren anhand der Färbung des Wassers Rückschlüsse darauf möglich, wie intensiv die Biomasseproduktion durch die Algen in jedem Jahr war. Speziell für die Arktis entwickelte das Team einen Computer-Algorithmus, der automatisch die Konzentration des Phytoplanktons aus den Satellitendaten erfassen kann.
Lewis und ihre Kollegen stellten fest, dass die Netto-Biomasseproduktion in der Arktis zwischen 1998 und 2018 durchschnittlich um 57 Prozent zugenommen hat. Das ist ein beispielloser Produktivitätssprung für ein ganzes Ozeanbecken, sagen die Wissenschaftler. Im Detail zeigte sich dabei ein weiterer überraschender Befund: Während die Zunahme anfänglich mit dem Rückgang des Meereises in Verbindung stand, stieg die Produktivität auch dann noch deutlich an, als sich das Fortschreiten bei den sommerlichen Abschmelzraten ab 2009 verlangsamte.
Mehr Licht und mehr Nährstoffe
Diese Zunahme der Netto-Biomasseproduktion in den letzten zehn Jahren ist fast ausschließlich auf eine Zunahme der Konzentration des Phytoplanktons zurückzuführen, berichten die Wissenschaftler. “In einem bestimmten Wasservolumen konnten jedes Jahr mehr Algen wachsen”, sagt Lewis. Letztlich bedeutet das: Die Algen haben zunächst von der klimabedingten Veränderungen der Eisbedeckung profitiert und nun wachsen sie zusätzlich auch konzentrierter – wie eine dickflüssige Algensuppe.
Die Forscher vermuten, dass diesem Effekt eine bessere Versorgung durch Substanzen mit Düngeeffekt zugrunde liegt. Möglicherweise werden mehr Nährstoffe in den Arktischen Ozean eingetragen oder es findet durch die geringere Eisbedeckung und die stärkeren Stürme im Zuge des Klimawandels eine bessere Durchmischung mit nährstoffreichen Wasserschichten statt. “Wir wussten, dass die Arktis ihre Produktivität in den letzten Jahren gesteigert hat, aber es schien möglich, dass das System nur die gleichen Nährstoffvorräte wiederverwertet”, sagt Lewis. “Unsere Studie zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Das Phytoplankton nimmt Jahr für Jahr mehr Kohlenstoff auf, da neue Nährstoffe in diesen Ozean gelangen. Das war unerwartet und hat große ökologische Auswirkungen”, so die Wissenschaftlerin.
Die Arbeit trägt somit nun zu einer besseren Einschätzung bei, wie der Klimawandel die zukünftige Produktivität, die Nährstoffversorgung und die Kapazität zur Kohlenstoffaufnahme des Arktischen Ozeans beeinflussen wird. „Eine produktivere Arktis bedeutet mehr Nahrung für viele Tiere. Aber einige, die speziell an das Leben in einer polaren Umgebung angepasst sind, können vielleicht nur wenig profitieren, weil ihr Leben auf der anderen Seite schwieriger wird, da sich das Eis zurückzieht“, sagt Co-Autor Kevin Arrigo. Außerdem könnte es Probleme verursachen, dass das Phytoplankton nicht mehr synchron mit dem Rest des Nahrungsnetzes wächst, da das Eis nun so früh im Jahr schmilzt.
Was das Potenzial der Produktivitätszunahme bezüglich der Aufnahme von atmosphärischem Kohlendioxid betrifft, betonen die Forscher: Das arktische Meer ist nicht groß genug ist, um einen erheblichen Teil der weltweiten Treibhausgasemissionen zu absorbieren. “Die Arktis nimmt nun zwar viel mehr Kohlenstoff auf als früher, aber darauf können wir nicht setzen – das wird uns nicht aus unserem Klimaproblem heraushelfen“, sagt Arrigo.
Quelle: Stanford University, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.aay8380