Butler und seine Co-Autoren hatten zu diesem Zweck die Daten aus einem großen europäischen Verbundprojekt, der GRACE-Studie, noch einmal detaillierter ausgewertet. In dem Projekt geht es um Strategien zur Vermeidung von Antibiotika-Resistenzen im Zusammenhang mit ansteckenden Erkrankungen der Atemwege wie Bronchitis oder Lungenentzündungen. Erste Ergebnisse waren bereits 2009 veröffentlicht worden und hatten erhebliche Unterschiede im Verschreibungsverhalten der Hausärzte innerhalb Europas zutage gebracht. Diesmal werteten die Forscher aus, ob der Auswurf beim Husten und vor allem dessen Farbe eine Rolle bei der Entscheidung der Ärzte für oder gegen eine Antibiotikum-Verschreibung spielt.
Dies war der Fall: Registrierten die Ärzte nämlich gelben oder grünen Schleim auf ihren Befundbögen, griffen sie laut der statistischen Auswertung des europäischen Forscherteams signifikant häufiger zum Rezeptblock, um ein Antibiotikum zu verordnen. War der Auswurf weiß oder farblos oder der Husten trocken, also ohne Schleimproduktion, blieben die Ärzte bei ihrem durchschnittlichen Verschreibungsverhalten. Dieses variierte je nach Region zwischen 19,6 Prozent (Barcelona in Spanien) und 88,2 Prozent (Bratislava in der Slowakei) und war nach Erkenntnissen der Forschergruppe um Chris Butler nicht davon abhängig, ob sich der jeweilige Patient besonders schlecht oder nur leicht beeinträchtigt fühlte.
Hinter der Frage nach der Farbe des Schleims steht die Annahme vieler Mediziner, dass Eiterbildung einen Hinweis auf eine bakterielle Infektion als Ursache des Hustens darstellt. Diese Annahme wurde aber bereits in früheren wissenschaftlichen Arbeiten in Frage gestellt. Auch diesmal sprach nichts dafür. Denn wäre die Schleimfarbe ein gutes diagnostisches Kriterium für Bakterien, hätte den Patienten mit grünem oder gelbem Schleim die Antibiotika-Behandlung besser helfen müssen als pures Abwarten. Dies war aber nicht der Fall.
Das zeigte sich, als die Wissenschaftler den Erfolg einer Antibiotikatherapie überprüften. Dazu standen ihnen Tagebücher zur Verfügung, die die insgesamt 3.402 erwachsenen Patienten mindestens 28 Tage nach dem Arztbesuch akribisch führen mussten. Dabei zeigte sich in mathematisch präzisen Kurven, was schon der Volksmund weiß: Nimmt man Medikamente gegen die Erkältung, dauert sie zwei Wochen, nimmt man keine, ist sie in 14 Tagen vorbei. Tatsächlich waren die beklagten Erkältungssymptome bei allen Patientengruppen zwei Wochen nach dem Arztbesuch weitgehend abgeklungen. Oder wie es Chris Butler formuliert: “Unsere Befunde bekräftigen die Botschaft, dass akuter Husten bei ansonsten gesunden Patienten ein Zustand ist, der von selbst zu Ende geht, und dass eine antibiotische Behandlung die Genesung nicht nennenswert beschleunigt.”