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Amputationen bei Ameisen entdeckt

Insekten

Amputationen bei Ameisen entdeckt
Eine Ameise amputiert einer verletzten Artgenossin ein Bein. Illustration © Hanna Haring

Notfallchirurgie im Insektenstaat: Forschende haben bei einer Ameisenart Amputationen beobachtet. Florida-Holzameisen beißen ihren Nestgenossen demnach gezielt verletzte Gliedmaßen ab, um ihnen das Überleben zu sichern. Die Maßnahme erfolgt dabei offenbar auch „bedacht“: Ob sich die behandelnde Ameise für eine Amputation oder eine Wundreinigung entscheidet, hängt von der Lage der Verletzung ab. Für den Heilungserfolg ist dies wichtig, zeigen die Untersuchungen. Die Forscher wollen nun klären, wie weit dieses komplexe Verhalten bei Ameisen verbreitet sein könnte.

Gemeinsam sind sie stark: Durch raffiniert geregelte Kooperation bilden die vielen Individuen eines Ameisenvolkes eine erstaunlich leistungsfähige Einheit. Dabei werden immer wieder Parallelen zu den Konzepten menschlicher Gesellschaften deutlich. Dies gilt auch für die medizinische Versorgung: Studien haben bereits faszinierende Einblicke in das ausgeklügelte Gesundheitsmanagement von Ameisenstaaten geliefert. So war auch bereits bekannt, dass Ameisen Wunden bei verletzten Nestgenossen behandeln. Sie werden dazu gereinigt und bei manchen Arten auch mit antimikrobiellen Substanzen behandelt, um Infektionen zu verhindern.

Im Fokus der Forschenden um Erik Frank von der Universität Würzburg stand nun die Ameisenart Camponotus floridanus, die im Südosten der USA vorkommt. Das Team interessiert sich für diese sogenannten Florida-Holzameisen, da sie wie einige andere Spezies auch keine antibiotisch wirksame Sekrete in Drüsen bilden, um infizierte Wunden zu behandeln. So stellte sich die Frage, ob sie andere Strategien nutzen, um Verletzungen bei Nestgenossen zu behandeln, die vor allem bei den zwischenartlichen Kämpfen unter Ameisen häufig auftreten.

Bei verletztem Oberschenkel wird amputiert

Die Beobachtungen der Florida-Holzameisen zeigten zunächst, dass Wunden durch mechanische Pflege versorgt werden: Die Insekten reinigen sie dabei mithilfe ihrer Mundwerkzeuge. Doch dann beobachtete das Team auch eine weitere Behandlungsform, die bisher nur aus der menschlichen Notfallmedizin bekannt war: Die Florida-Holzameisen amputieren vorsorglich verletzte Gliedmaßen, um das Leben verwundeter Nestgenossen zu retten. Dabei wird das Bein am sogenannten Trochanter, der ein Element am Insektenkörper mit dem Oberschenkel verbindet, abgebissen.

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Die „Patienten“ kommen mit der Behandlung und dem Verlust eines ihrer sechs Beine offenbar meist gut zurecht: Etwa 90 Prozent überleben und können weiterhin Aufgaben in der Gemeinschaft übernehmen. Wie sinnvoll die Amputation sein kann, dokumentierten die Forscher durch Versuche: Das Abtrennen eines verletzten Beins verhindert demnach, dass sich lebensgefährliche Wundinfektionen im Körper der Ameisen ausbreiten können. Ohne die Behandlung lag die Überlebensrate im Fall von infizierten Wunden dagegen bei weniger als 40 Prozent. “Es handelt sich um den ersten bekannten Fall einer ausgeklügelten und systematischen Amputation im Tierreich”, sagt Frank.

Die Forschenden konnten allerdings noch einen weiteren erstaunlichen Aspekt des Phänomens dokumentieren: Die Ameisen entscheiden demnach offenbar „klug“ darüber, wann sie eine Amputation durchführen und wann nicht. Wie sich zeigte, wird ein Bein immer abgebissen, wenn der Oberschenkel verletzt ist. Befinden sich eine Wunde dagegen am Unterschenkel, wird nur mechanisch gereinigt, auch wenn sie infiziert ist. Diese Therapie führt dann allerdings zu einer Überlebensrate von nur rund 75 Prozent. So stellte sich die Frage, warum die Ameisen nicht auch die Beine mit Unterschenkelverletzungen amputieren.

Zu wenig Zeit für eine erfolgreiche Amputation

Den Grund zeigten dann computertomographische Untersuchungen der Ameisenbeine auf. Sie verdeutlichten, dass Verletzungen am Oberschenkel aufgrund von Auswirkungen auf den Blutfluss zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von Bakterien im Körper führen. In diesem Fall lohnt sich deshalb die Amputation. Ist dagegen ein Unterschenkel verletzt, können Bakterien aufgrund der speziellen Mechanismen im Kreislaufsystem der Ameisen sehr schnell eindringen und sich im Körper verbreiten, erklären die Forschenden. Das Zeitfenster für eine erfolgreiche Amputation ist deshalb in diesem Fall sehr eng. Doch in der Regel benötigen die Ameisen für diese Maßnahme mindestens 40 Minuten.

“Da die Ameisen nicht in der Lage sind, das Bein schnell genug abzutrennen, um die Ausbreitung schädlicher Bakterien zu verhindern, versuchen sie dagegen, die Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Infektion zu verringern, indem sie mehr Zeit für die Reinigung einer Unterschenkel-Wunde aufwenden”, erklärt Seniorautor Laurent Keller von der Universität Lausanne. „Unsere Studie belegt damit erstmals, dass auch Tiere im Zuge der Wundbehandlung prophylaktische Amputationen einsetzen. Und sie zeigt, dass die Ameisen die Behandlung an die Art der Verletzung anpassen“, resümiert Keller.

Die Forschenden wollen dem spannenden Verhalten nun auch weiter nachgehen. Sie untersuchen derzeit andere Ameisenarten, um zu klären, wie verbreitet die „Notfallchirurgie“ in den Gesundheitssystemen der Krabbler verbreitet sein könnte. Auch in Deutschland lebende Spezies stehen dabei im Visier.

Quelle: Cell Press, Universität Würzburg, Fachartikel: Current Biology, doi:
10.1016/j.cub.2024.06.021

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