Große Teile des Amazonasgebietes leiden bereits jetzt unter Wasserstress durch den Klimawandel und unter der Abholzung durch den Menschen, Tendenz steigend. Das Ökosystem könnte daher schon deutlich früher als gedacht einen Kipppunkt erreichen, ab dem sich der Regenwald unumkehrbar verändert, wie Forschende in „Nature“ berichten. Das würde die Auswirkungen der Erderwärmung nicht nur lokal verstärken, sondern hätte auch Folgen für das Klima weltweit. Die Wissenschaftler mahnen daher, den Regenwald besser zu schützen.
Der Amazonas-Regenwald beherbergt über 40 Millionen Menschen und gut zehn Prozent aller Arten auf der Erde. Damit ist er ein wichtiger Lebensraum für die globale Biodiversität. Zudem haben die Bäume dort enorme Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre gespeichert. Würden alle Bäume dort sterben und dieses CO2 wieder freisetzen, entspräche das den menschlichen Emissionen von 15 bis 20 Jahren. Unterm Strich kühlt der Amazonas-Regenwald als Kohlenstoffsenke die Erde ab und trägt maßgeblich zur Stabilisierung des Klimas bei. Doch wie lange der Regenwald diese Aufgabe noch erfüllen kann, ist fraglich. Denn der Klimawandel setzt dem Ökosystem zu, immer häufiger kommt es zu Dürren und Wasserstress. Nimmt diese Belastung weiter zu, wird der Regenwald eines Tages einen Kipppunkt erreichen und unter dem Stress zusammenbrechen, warnen Wissenschaftler seit Langem. Bislang gingen sie jedoch davon aus, dass das nicht mehr in diesem Jahrhundert passieren wird.
Wie steht es um den Regenwald am Amazonas?
Ein Forschungsteam um Bernardo Flores von der Federal University of Santa Catarina in Brasilien hat nun genauer untersucht, wie stark der Amazonas-Regenwald gefährdet ist und wann ein kritischer Punkt erreicht wäre. Dafür werteten die Forschenden erdgeschichtliche Klimadaten der Region aus, die einen Zeitraum von etwa 65 Millionen Jahren abdecken. Diese Daten verglichen sie mit Klimamodellen sowie Satellitendaten seit den 1980er Jahren und analysierten unter anderem, wie stark Waldbrände und Rodungen den Baumbestand im Amazonas verändert haben. Insgesamt untersuchten Flores und seine Kollegen fünf Parameter, die die Entwicklung des Regenwaldes beeinflussen: die Abholzung, die Erderwärmung, die jährliche Regenmenge, die saisonale Regenmenge und die Dauer der Trockenzeit.
Die Analysen ergaben, dass der Amazonas-Regenwald nicht erst nach 2100, sondern schon im Jahr 2050 einen klimatischen Kipppunkt erreichen und sich unumkehrbar verändern könnte. Zu diesem Zeitpunkt werden wahrscheinlich zwischen zehn und 47 Prozent der Waldfläche unter Wassermangel und Umweltstress leiden, prognostizieren die Forschenden. In der Folge könnte dann das Ökosystem teilweise oder ganz zusammenbrechen und zahlreiche Arten aussterben. Der Regenwald würde sich in Wald oder Savanne wandeln und verlöre dann auch seine Effektivität als Kohlenstoffsenke, heißt es in der Studie. Dadurch käme es zu hohen Emissionen. Die bereits jetzt spürbaren Auswirkungen des Klimawandels könnten dann vor allem lokal, aber auch auf der ganzen Welt noch weiter verstärkt werden.
Ob der Kipppunkt überschritten wird, hängt von der weiteren Abholzung, aber auch vom lokalen Wetter und globalen Klima ab. So dürfte die Trockenzeit zum Beispiel auf Dauer nicht länger als fünf Monate dauern, es müssten jährlich mindestens 1.800 Millimeter Wasser fallen und die Erde dürfte sich nicht um mehr als 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmen, um den Amazonas-Regenwald nicht zu gefährden. Insgesamt wirken diese Faktoren zusammen und verstärken sich gegenseitig, so Flores und seine Kollegen.
Wissenschaftler fordern Schutz des Amazonaswaldes
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass vorsorglich mehr Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Amazonas zu schützen und resilienter zu machen. Vor Ort müsse dafür die Abholzung des Regenwaldes aufhören und bereits zerstörte Gebiete wieder hergestellt werden, sodass insgesamt maximal zehn Prozent des ursprünglichen Amazonasgebietes entwaldet bleiben. Darüber hinaus sei in der Energieversorgung eine weltweite Abkehr von Treibhausgasen nötig.
Quelle: Bernardo Flores (Federal University of Santa Catarina) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06970-0