Ein wichtiger Motor der globalen Ozeanzirkulation sitzt im Nordatlantik – die Umwälzströmung treibt den Golfstrom an und prägt unser Wetter. Doch wie nun eine Studie enthüllt, ist diese Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) zurzeit so schwach wie noch nie zuvor in den letzten tausend Jahren. Das belegen Auswertungen unter anderem von Daten aus Ozeansedimenten, Eisbohrkernen oder den Jahresringen von Bäumen. Demnach erlebte das Golfstrom-System vor allem ab Mitte des 20. Jahrhunderts eine beispiellose Abschwächung. Schuld daran ist nach Angaben der Wissenschaftler vor allem der Klimawandel.
Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) wirkt wie eine gigantische Pumpe: Im arktischen Nordatlantik sinkt salziges, warmes Oberflächenwasser aus südlichen Gefilden ab und strömt als kaltes, dichteres Tiefenwasser zurück Richtung Äquator. Diese Tiefenkonvektion treibt die großräumigen Meeresströmungen an und trägt dadurch entscheidend zur Wärmeverteilung zwischen den Tropen und Polarregionen bei. “Das Golfstrom-System funktioniert wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt”, erklärt Seniorautor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK. “Es bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms.”
Langfristiger Trend oder nur natürliche Schwankung?
Doch schon länger mehren sich die Anzeichen dafür, dass diese Nordatlantische Umwälzströmung sensibel auf Klimaveränderungen reagiert. So zeigte dieser Strömungsmotor bereits in den warmen Zwischeneiszeiten mehrfach Aussetzer, die die Zirkulation zum Erliegen brachten. Und auch in der Neuzeit schwächelt das Golfstrom-System zunehmend: Weil durch die Klimaerwärmung mehr “süßes” Schmelzwasser in den nördlichen Atlantik strömt, verringert sich der Salzgehalt des Oberflächenwassers. Damit sinkt jedoch seine Dichte und das Absinken wird erschwert. Zusätzlich behindert auch das schwindende Meereis die nordatlantische Tiefenkonvektion. Messungen belegen, dass sich die Umwälzpumpe seit den 1950er-Jahren bereits um 15 Prozent abgeschwächt hat. Allerdings blieb dabei noch unklar, ob sich dies in einen langfristigen Trend einfügt oder möglicherweise doch nur eine länger anhaltende natürliche Schwankung darstellt.
Diese Frage haben nun Rahmstorf, seine Kollegin Levke Caesar und weitere Wissenschaftler anhand von sogenannten Proxydaten näher untersucht. Als solches werden natürliche “Zeitzeugen” bezeichnet, die indirekt Auskunft über den untersuchten Parameter geben. “Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet, um Informationen über die Ozeanströmungen zu erhalten: die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente”, erklärt Caesar. “Während einzelne Proxydaten bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollkommen sind, ergab die Kombination aller drei ein robustes Bild der Umwälzzirkulation.” Die Proxydaten zu den drei Parametern stammten aus neun verschiedenen Quellen, darunter Jahresringen von Bäumen, Eisbohrkernen, Ozeansedimenten und Isotopenstudien, aber auch dem Auftreten verschiedener fossiler Meeresorganismen.
Abschwächung stärker als je zuvor in den letzten 1000 Jahren
Die Auswertung legt nahe, dass es sich bei der aktuellen Abschwächung des Golfstrom-Systems um mehr als eine schon früher aufgetretene natürliche Schwankung handelt. In neun der elf betrachteten Datensätze war die moderne AMOC-Schwächung statistisch signifikant: “Wenn wir annehmen, dass die mit den Proxy-Datensätzen gemessenen Prozesse Änderungen in der Strömung widerspiegeln, liefern sie ein konsistentes Bild – und das trotz der Tatsache, dass die Daten an unterschiedlichen Orten aufgenommen wurden und verschiedene Zeitskalen repräsentieren. Die Abschwächung der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiellos”, sagt Co-Autorin Niamh Cahill von der Maynooth University im irischen Kildare. Konkret zeigen die Daten, dass die Nordatlantische Umwälzströmung bereits mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 langsam schwächer wurde. Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch begann eine Phase der besonders schnellen Abschwächung, die bis heute anhält.
Nach Ansicht des Forschungsteams bestätigt dies, dass die Abschwächung des Golfstrom-Systems eng mit dem aktuellen Klimawandel verknüpft ist. “Die neue Studie liefert weitere unabhängige Belege für diese Schlussfolgerung und stellt sie in einen längerfristigen paläoklimatischen Kontext”, sagt Rahmstorf. Gleichzeitig wecken die Ergebnisse auch die Befürchtung, dass das System durch den fortschreitenden Klimawandel noch weiter aus dem Gleichgewicht gebracht wird. “Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen”, so Rahmstorf. “Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.” An diesem Punkt könnte die Umwälzströmung in einem neuen Gleichgewichtszustand “umkippen”, bei dem sie komplett zum Erliegen kommt.
Schon wenn sich der Strömungsmotor im Nordatlantik weiter abschwächt, könnte dies Folgen für Klima und Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks haben: Für Europa sagen Modelle voraus, dass sich mit dem Nachlassen des Wärmetransports in den Nordatlantik großräumige Luftströmungen und auch die Zugbahnen von Stürmen verschieben. Das könnte zu mehr Stürmen über Europa, aber auch sommerlichen Hitzewellen und Dürren führen. An der Ostküste Nordamerikas könnte es neben Klimaeffekten auch zu einem Anstieg des Meeresspiegels kommen. Denn bisher lenkt die Umwälzströmung Wassermassen von der US-Ostküste weg. “Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen. Das kann zu einem verstärkten Meeresspiegelanstieg führen”, erklärt Caesar. Noch allerdings sind die möglichen Folgen einer weiteren AMOC-Abschwächung erst in Ansätzen geklärt, hier ist weitere Forschung nötig.
Quelle: Levke Caesar (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK), et al., Nature Geoscience, doi: 10.1038/s41561-021-00699-z